Von Oliver Abraham

Ilulissat, Grönland, Dänemark. Sachte knirscht das Eis am Rumpf. Vorsichtig und ganz, ganz langsam steuert der Kapitän das Schiff durch die Eisberge vor Grönland.

35 Milliarden Tonnen Eis in der Disko-Bucht

Es ist fast Mitternacht und die Sonne steht noch ein gutes Stück über dem Horizont. Auf Schleichfahrt durch das Eis und ein Crewmitglied holt ein paar Brocken mit dem Kescher an Bord, für die Drinks.

Ilulissat, Grönland, Dänemark. Sachte knirscht das Eis am Rumpf. Vorsichtig und ganz, ganz langsam steuert der Kapitän das Schiff durch die Eisberge vor Grönlands Disko-Bucht. Foto. Oliver Abraham
Es ist fast Mitternacht und die Sonne steht noch ein gutes Stück über dem Horizont in Grönlands Disko-Bucht. Foto: Oliver Abraham

Die Eisberge, manche nah und die meisten fern, strahlen weiß und blau und golden, je nach Lichteinfall, und in magischem Türkis, wenn man durch Risse und Höhlen hineinblicken kann. Mit dem Kescher kommt man dem Eis ganz nah und kann es knistern hören im Glas. Ein sonderbares Zeug, eine seltsame Welt.

Ilulissat, Grönland, Dänemark. Sachte knirscht das Eis am Rumpf. Vorsichtig und ganz, ganz langsam steuert der Kapitän das Schiff durch die Eisberge vor Grönlands Disko-Bucht. Foto. Oliver Abraham
Eisberge in Grönlands Disko-Bucht. Foto: Oliver Abraham

Jetzt fährt das Schiff zwischen zwei Eisbergen, die aussehen wie kleine Tafelberge, die Passage wirkt wie eine weite, weiße Ebene, Eis schwimmt klein und geschlossen, es raschelt nun.

Eine mächtige Kälte liegt über dieser See.

Wirkt das Licht der tiefen, späten Sonne auch warm, wärmen tut es nicht. Dicke Sohlen, die Kälte wird sonst durch die Schuhe in den Körper kriechen, sind eine gute Idee bei einem Schiffsausflug zu diesen schwimmenden Monumenten aus Eis, die vom Gletscher abbrechen und ihre Reise antreten, wenn Sturm und Strömung sie aus dieser Bucht treiben.

Ilulissat, Grönland, Dänemark. Sachte knirscht das Eis am Rumpf. Vorsichtig und ganz, ganz langsam steuert der Kapitän das Schiff durch die Eisberge vor Grönlands Disko-Bucht. Foto. Oliver Abraham
Dieses Eis erscheint so gewaltig, so solide und ist doch trügerisch. Foto: Oliver Abraham

Seeleute nennen das „Schwarzes Eis“

Dieses Eis erscheint so gewaltig, so solide und ist doch trügerisch: Was massiv wirkt, gar wie ein Gebirge aus Eis aussieht, ist manchmal so zerklüftet, dass es jeden Augenblick auseinander brechen kann. Es gibt Eis, das so klar ist, dass man es im Wasser nicht sieht. Das nennen die Seeleute „Schwarzes Eis“; dunkel wirkt es wie die tiefe See selbst, in der es schwimmt, da haben sie am meisten Respekt vor. Entfernungen sind kaum einzuschätzen, die Ausmaße dieser Eisberge auch nicht, ob oder wann sie zerbrechen, erst recht nicht.

Vor dem Eis, da haben sie Respekt hier vor Grönland.

Eis kann Stahl schlitzen und Eis kann Schiffe versenken, die beiden Fischerboote in der Ferne wirken zwischen den gigantischen Eisbergen so klein und verletzlich. Sie sind es auch. Kommt noch hinzu: Das, was man sieht, ist der kleinste Teil eines Eisberges. über dem Wasser ist das ein hübsches, weißes Stück, unter Wasser verliert es sich seltsam grünlich-blau schimmernd in dunkler Tiefe. Das meiste sieht man nicht.

Ilulissat, Grönland, Dänemark. Sachte knirscht das Eis am Rumpf. Vorsichtig und ganz, ganz langsam steuert der Kapitän das Schiff durch die Eisberge vor Grönlands Disko-Bucht. Foto. Oliver Abraham
Bis zum 35 Millionen Tonnen Eis fließen hier pro Jahr Richtung Meer. Foto: Oliver Abraham

35 Milliarden Tonnen Eis pro Jahr

Die Disko-Bucht, gelegen im Westen Grönlands, ist ungefähr so groß wie Schleswig-Holstein. Vom Inlandeis der Insel fließen Gletscher in Richtung Meer, und der Sermeq-Kujalleq produziert so viel Eis wie wohl kein zweiter Gletscher in der Arktis – unfassbare 35 Milliarden Tonnen pro Jahr. Der Fjord dieses Gletschers mündet im Süden in die Disko-Bucht, weitere Eisströme kalben, so heißt das Abbrechen von Gletschereis in die See, an der Disko-Bucht.

Ilulissat, Grönland, Dänemark. Sachte knirscht das Eis am Rumpf. Vorsichtig und ganz, ganz langsam steuert der Kapitän das Schiff durch die Eisberge vor Grönlands Disko-Bucht. Foto. Oliver Abraham
Die Disko-Bucht, gelegen im Westen Grönlands, ist ungefähr so groß wie Schleswig-Holstein. Vom Inlandeis der Insel fließen Gletscher in Richtung Meer. Foto: Oliver Abraham

Kaum ein Ort, wo so viele Eisberge ihren Weg nehmen. Kaum ein Ort, wo man das so schön, so unmittelbar erleben kann. Packt sie die Meeresströmung, geht’s auf Reise für die Eisberge – vor der Ostküste Nordamerikas treten sie ihren Weg nach Süden an. Die größten von ihnen werden dabei gewissenhaft überwacht.

Der Eisberg, der die Titanic einst versenkte, soll hier seinen Ursprung gehabt haben.

Eis, das unbegreiflich ist. Und bis zu 15 Prozent der Eisberge sieht man sowieso nicht. Sie sind schön, sie sind aber auch ziemlich gefährlich. Vor allem sind sie faszinierend: Begibt man sich mit fachkundiger Führung auf ihren Weg, wird das Unfassbare ein wenig begreiflich – schaurig-schön ist es allemal.

Ilulissat, Grönland, Dänemark. Sachte knirscht das Eis am Rumpf. Vorsichtig und ganz, ganz langsam steuert der Kapitän das Schiff durch die Eisberge vor Grönlands Disko-Bucht. Foto. Oliver Abraham
Grönlands Disko-Bucht. Foto: Oliver Abraham

Der Wanderweg führt von der kleinen Stadt Ilulissat, dem Zentrum an der Disko-Bucht, zum Fjord des Sermeq-Kugalleq-Gletschers. Vom gewaltigen grönländischen Inlandeis fließt Eis bergab, der Druck kilometerdicken Eises lässt eben dies an der Grenze zum Untergrund schmelzen, das erzeugt einen Schmierfilm aus Wasser und zermahlenem Gestein, auf dem sie gleiten. Irgendwann erreichen sie das Meer, schwimmen auf und brechen ab.

Ilulissat, Grönland, Dänemark. Sachte knirscht das Eis am Rumpf. Vorsichtig und ganz, ganz langsam steuert der Kapitän das Schiff durch die Eisberge vor Grönlands Disko-Bucht. Foto. Oliver Abraham
Grönlands Disko-Bucht. Foto: Oliver Abraham

Der Fjord an der Front dieser Eismaschine ist rund sieben Kilometer breit, über dem Wasser liegt dichter Dunst und zu hören ist am Ende solcher Gletscher manchmal ein Ächzen; ein Gletscher schafft hier drei, vier Meter am Tag. Es sind unbegreifliche Dimensionen, und irre Kräfte. Manchmal hört man an Gletschern einen Knall – Eis bricht, Eis stürzt.

Warnung, nicht ans Wasser zu gehen

Schilder warnen ausdrücklich davor, hinunter ans Wasser zu gehen – hier und überhaupt an solchen Fjorden. Denn krachen Eisblöcke von der Größe ganzer Straßenzüge ins Wasser, erzeugen sie Flutwellen gleich Tsunamis, die alles und jeden vom Ufer waschen. Aus sicherer Höhe ist ein Labyrinth aus Eisbergen jeglicher Größe im Fjord zu erkennen, eine Parade von Riesen, begleitet von den Kleineren, solchen in der Größe eines Hauses. Kleinkram. Zu langsam für das Auge zwar, um ihren stillen Marsch zu erkennen, aber unterwegs sind sie unaufhaltsam. Und gelangen, wie all die anderen hier, in die Disko-Bucht vor Ilulissat, das einst Jakobshavn hieß.

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Grönlands Disko-Bucht. Foto: Oliver Abraham

Hier legen im Sommer Frachtschiffe an, die die Stadt und die Gegend versorgen. Hier legen Ausflugsschiffe ab, die Gäste in die Welt der Eisberge bringen. Wenn die Eisberge dies zulassen. Manch wendiges Motorboot tanzt ein seltsames Ballett im Hafen, um kleines Eis wegzuschubsen, die Frachter können mehr und schieben sich souverän an den Anleger. Es gibt aber auch Tage, an denen geht gar nichts.

Tiefgang von mehreren hundert Metern

Heute geht was und der Kapitän nimmt Kurs auf die Bucht. Der Blick von der Brücke reicht auf das Wasser und Eis überall. Der Kurs Richtung Eis stimmt, dort stehen Eisberge, die Fischerboote davor und dazwischen wirken winzig und verloren. Manche Eisberge haben einen Tiefgang von mehreren hundert Metern, manche sind in der Tiefe auf Kiesbänke aufgelaufen und verharren für einen Augenblick, eine Woche, ein Jahr. Wissen tut man das nicht. Eben so lange, bis sie zerbrechen oder weiterschwimmen.

Ilulissat, Grönland, Dänemark. Sachte knirscht das Eis am Rumpf. Vorsichtig und ganz, ganz langsam steuert der Kapitän das Schiff durch die Eisberge vor Grönlands Disko-Bucht. Foto. Oliver Abraham
Ilulissat, Grönland, Dänemark. Sachte knirscht das Eis am Rumpf. Vorsichtig und ganz, ganz langsam steuert der Kapitän das Schiff durch die Eisberge vor Grönlands Disko-Bucht. Foto: Oliver Abraham

Ein Schiff, weiß und signalrot gestrichen, manövriert vorsichtig in dieser seltsamen See. Immer mehr Eisberge tauchen auf, größer und immer größer werden sie. Es ist eigentümlich still auf diesem Meer, doch spürt man eine seltsame Kraft. Kapitän und Besatzung haben die Eisberge immer im Blick; nicht nur auf dem Radar, sondern auch mit dem Auge. So gewaltig wie sie wirken, so fragil sind sie – jederzeit kann ein Eisberg zerbrechen, sich umwälzen und alles ertränken, in die Tiefe reißen, was in seiner Nähe ist. Wie gut aufgehoben aber fühlt man sich an Bord des Ausflugsschiffes, die Leute, wissen, was sie tun, sie können Eis lesen. So lassen sich diese Szenen, lässt sich die Atmosphäre genießen, sicher, aber mit schönem Schauer inklusive.

Schöne Schauer, Atmosphäre zum genießen

Es klart auf und ein blauer Himmel spannt über dieses Eis-Meer. Die See ist tiefblau, gleißend weiß die Eisberge. Dann kommt ein Eisberg in Sicht, dessen Ausmaße kaum abzuschätzen sind, er wirkt wie ein Gebirgszug mit Gipfeln und Graten, mit einer Steilwand voraus. Große Bereiche dieses Giganten sind weiß und wirken verwittert, Schmutziges und Schwarzes darauf, vermutlich Schutt, den der Gletscher einst transportiert hat.

Ilulissat, Grönland, Dänemark. Sachte knirscht das Eis am Rumpf. Vorsichtig und ganz, ganz langsam steuert der Kapitän das Schiff durch die Eisberge vor Grönlands Disko-Bucht. Foto. Oliver Abraham
Eisberge, soweit das Auge reicht. Foto: Oliver Abraham

Dies ist eine Landschaft, die hier schwimmt. In den Spalten und Rissen ist das magische Blau und Türkis zu erkennen, das nur Eis und Licht schaffen können. Später eine Höhle, groß wie eine Kathedrale. Darin Verstürze; halb hängt es noch, halb fällt es schon. Ein anderer Eisberg hat an seinem Ufer eine Lagune ausgebildet, so, als ob man hineinfahren könnte. Ein Besuch auf ihnen aber ist undenkbar; so massiv, so wuchtig sie wirken, so fragil sind sie. Die Uhr ihres Vergehens tickt, und blickt man genau hin (wohlweislich mit dem Fernglas und aus sicherer Entfernung), erkennt man vertikale Risse und Spalten, dieser hier ist angezählt. Eine Trümmerlandschaft – löchrig und zerklüftet. Dort, wo die Sonne auf die Eisberge strahlt, glitzert Schmelzwasser im Licht, hier rinnt und stürzt es sogar von einem Plateau herab. Möwen sitzen auf einem Gipfel. All das in seltsamer Stille. Bis es wieder kreischt und kracht.

Das Schiff manövriert durch einen Zaubergarten.

Die Sonne steht inzwischen tief, doch unter geht sie in diesen Wochen nicht. Unter der arktischen Mitternachtssonne liegt die Disko-Bucht wie ein Spiegel, Eisberge bis zum Horizont und nun gedoppelt. Gänsehaut nicht nur wegen der Temperatur. Goldenes Licht, kobaltblaue Kolosse, schwarze See. Dort, wo sich die Eisberge auf den Weg machen.

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Mitternachtssonne liegt die Disko-Bucht wie ein Spiegel, Eisberge bis zum Horizont und nun gedoppelt. Foto: Oliver Abraham

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