Von Mario Vedder
Ein Abend in Avignon. Die Sonne steht schon tief am Himmel, ihre funkelnden Strahlen brechen sich in der alten Stadtmauer. Es ist sommerlich warm, ein leichter Wind geht. Glocken läuten, die mächtige Stadtmauer hält mich vom direkten Weg in die Altstadt ab, ich suche ein Tor, finde es, schlendere gemütlich in den Abend.
Über allem in Avignon thront der Papstpalast
„Sur le pont d’Avignon“, das berühmte französische Volkslied begleitet mich durch durch die engen Gassen, dabei ist die Pont Saint-Bénézet heute gar nicht mein Ziel. Und es ist Klischee, dieses Lied, aber präsent, ein Ohrwurm halt, der sich aber schnell von fröhlichen Lachen und knatternden Rollern ablenken lässt. Ich lasse mich treiben, schaue hier und da, Galerien, Cafès, Bistros, ein Strassenmusiker, ein streunende Katze.
Avignon – Stadt der Päpste
Die Häuser sind meist in gelben Tönen gehalten, Putz bröckelt. Bunte Plakate werben für Musik und Theater. „Une Die sur Mesure“, „Electre“ im Theatre Notre Dame. Jetzt am frühen Abend sind die Temperaturen angenehm, das hohe Mauerwerk reflektiert die Hitze nicht mehr allzu stark. Verführerische Auslagen in der Patisserie verschmelzen mit gußeisernen Balkonen und Platanen zu einem provencialischen Gesamtkunstwerk. Avignon, Stadt der Päpste.
20 Jahre Bauzeit
Allmächtig thront der Papstpalast über der Stadt. Er ist das Wahrzeichen der Stadt überhaupt, zweifellos sogar eine der beeindruckendsten historischen Sehenswürdigkeiten ganz Europas. Der Bau des Papstpalasts begann im Jahr 1335 und dauerte etwa 20 Jahre. Er wurde im Auftrag von Papst Benedikt XII. errichtet und war der Hauptsitz des Papsttums, nachdem der päpstliche Hof im Jahr 1309 von Rom nach Avignon verlegt worden war. Insgesamt sieben Päpste residierten im Palast während des sogenannten Avignonesischen Papsttums, das von 1309 bis 1377 dauerte.
Junge Lust am Leben
Avignon hat unglaublich viel Historisches zu bieten, die Hauptstadt der Provence ist aber auch Studentenstadt und das merkt man, mittelalterliche Romantik, junge Lust am Leben. Fröhliche junge Leute beherrschen die Szenerie, unbeschwertes Lachen, die Gläser zum Aperitif klingen hell in den Gassen. Hier lebt Südfrankreich.
Die meisten Tagestouristen sind schon wieder weitergezogen, die Straßen und Plätze sind nur noch voll, nicht übervoll. Wie hier am großen Platz vor dem übermächtigen Papstpalast zum Beispiel. Es ist der zentrale Platz der Altstadt, umringt von zig großen Cafés und Restaurants, Musik, Skateboarder, verliebte Paare. Ich schlendere weiter, verliere mich in den schmaleren Gassen, überquere den Place de l’Horloge, das wunderschöne Rathaus wirft einen langen Schatten, der Uhrturm überwacht Zeit und Raum. Motorroller düsen um die Häuser.
Schweinebauch mit Muscheln und feinem Gemüse
Am Place du Cloître Saint-Pierre finde ich das „Coin Caché, ein wunderbares kleines Restaurant, unter Platanen, freundliches Personal und eine sehr reduzierte Karte. Und das beste, sie haben noch einen Platz für mich frei. Der Rosé mundet vorzüglich, die provencialische Küche feiert hier genüssliche Melodien ab. Das ist richtig gut, was die hier machen. Pulpo, butterzart, gegrillt, dazu Spinat, ein Spritzer Zitrone. Baguette natürlich, mehr braucht es nicht. Dieser Platz ist so typisch Frankreich und so entspannt, es ist Abend, Essen, Zusammensein, Genießen. Die Hauptspeise ist eine Empfehlung des Hauses, Schweinebauch in Kombination mit Muscheln, feinem Gemüse-Mousse und grünem Spargel, dazu diese feine Vinaigrette, leicht und intensiv zugleich, genauso sollte ein Abend in Südfrankreich sein.
Sinnbild des entspannten Lebens
Avignon ist die Perle der Provence, Sinnbild des entspannten Lebens in Südfrankreich, obwohl, auch das hab ich bemerkt, Not und Elend gibt es auch hier, Bettler, Obdachlose, einiges an Nachholbedarf im Straßenbau, die Stadt hat kein Geld, ist eine von Frankreichs ärmeren Kommunen, trotz Tourismus. Nach dem fantastischen Abendessen gehe ich noch einmal gemütlich zum Platz vorm Papstpalast. Man kann hierher schmale Stiege nehmen, oder den Galeriegang.
Ein Wunder geschieht
Als ich entlang der Mauern gehe, kommt mir aufgeregt eine Frau entgegen, zeigt mit den Fingern hinter mich. Umdrehen solle ich mich, ein Wunder geschehe, hinter mir. Es ist der Augenblick, wo Lichter aus dem Innern ein Kreuz in der Palastmauer erleuchten lassen, ich lächelte, bedanke mich, erinnere mich daran, dass ich ja in der Papststadt bin. Am Platz angekommen, rauscht erstmal ein Skater an mir vorbei, ein angenehmes Gemisch aus Stimmen, Rollen auf Kopfsteinpflaster und Musik aus den zig Lokalen liegt in der Luft.
Einige Pärchen sitzen auf den Stufen, in den Restaurants sind die meisten Gäste beim Digestif angekommen, genießen den Ausblick auf diese monumentale, gotische Architektur des 14. Jahrhunderts. Er besteht aus zwei Hauptteilen: dem alten Palast (Palais Vieux) und dem neuen Palast (Palais Neuf). Es ist die schiere Größe des Gebäudes, die beeindruckt, die hohen Mauern, die mächtigen Türme.
Philipp der Schöne wollte Papst unbedingt haben
Der Papstpalast wurde im Jahr 1995 zusammen mit der Altstadt von Avignon von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Im 13. Jahrhundert tobten in Rom Machtkämpfe und Konflikte, insbesondere zwischen dem Papst und den römischen Adelsfamilien. Die Sicherheit und Autorität des Papstes waren gefährdet. Dazu kam der Einfluss des französischen Königs Philipp IV., auch bekannt als „Philipp der Schöne“, der den Papst unbedingt in Frankreich haben wollte, um seine eigene Macht zu stärken. Er drängte auf die Verlegung des Papstsitzes nach Avignon, das zu dieser Zeit als relativ neutrale Stadt Teil des Königreichs Frankreich war.
1420 ging es zurück von Avignon nach Rom
Die Verlegung des Papstsitzes nach Avignon führte zu einer Zweiteilung der katholischen Kirche, die erst durch das Konzil von Konstanz im Jahr 1417 überwunden wurde. Mit der Wahl von Papst Martin V. und der Beendigung des Schismas kehrte der päpstliche Hof 1420 endgültig nach Rom zurück. Rom wurde wieder der ständige Sitz des Papstes.
Die Mücken schwirren an der Bar Tabac St. Lazare, die längst ihre besten Jahre hinter sich hat, Licht flackert zum Tanz der Motten, ich lasse die Altstadt hinter mir, spare mir den Gang zur Brücke auf, wegen der fortgeschrittenen Stunde, meiner Faulheit und der Ohrwurmgefahr, das Tor nach draußen finde ich neben der Uni.
Der Papst wacht vom Briefkasten aus
Avignon, ein wunderbarer Abend, Provence, Leben, Geschichte, und selbst zum Abschied schaut einer der Päpste vorbei, sein Konterfei schmückt einen Briefkasten, das Licht flackert, die Motten tanzen, „Trudes et Tartufi“ darf es dann morgen sein, ein letzter Blick auf schöne Fenster mit weißen Rahmen, grauen Laden, „Vin et fromages“ gibt es hier. Avignon, genug für heute. Feierabend, ein Liedchen von der Brücke wird mich in den Schlaf wiegen.