Von Oliver Abraham

Bestwig. Christstollen auf Fahrt: Drei Mal schlägt die Glocke, mit einem heftigen Ruck fährt die Grubenbahn an. Kupplungen krachen und Ketten klirren. Die Schmalspurbahn, bestehend aus einer elektrischen Lok, einem Güterwaggon und einem offenen Wagen mit vier Polstersitzen, rumpelt über die Gleise in den Eickhoff-Stollen, kreischt über Weichen und Metall.

Christstollen lagert 1300 Meter tief im Berg im Eickhoff-Stollen

Tief im Bergwerk lagert Jörg Liese einige  Zentner Christstollen, läßt diese hier schön durchziehen. Foto: Mario Vedder
Tief im Bergwerk lagert Jörg Liese einige Zentner Christstollen, läßt diese hier schön durchziehen. Foto: Mario Vedder

Tief in den Bergen des Sauerlandes lagert das Weihnachtsgebäck

Die Fahrt geht in die Berge des Sauerlandes, es geht in das ehemalige Bergwerk Ramsbeck. Mit an Bord bei dieser seltsamen Sonderfahrt, sie dauert acht Minuten und führt 1.300 Meter tief in den Berg, ist der Bäcker und Konditor Jörg Liese aus dem Sauerland samt ein paar Zentnern Christstollen. Den lässt er tief im Berg einen Monat lang schön lecker durchziehen: kalt, feucht, dunkel – das tut dem Feingebäck gut. Für den Stollen aus dem Stollen fährt Meister Liese ein.

„Man nennt mich den verrücktesten Stollenbäcker Deutschlands“

Konditormeister Jörg Liese

Bekleidet ist er in Konditorkluft und mit Grubenhelm. Und auf diesem sonderbaren Bäckerwagen, der im düsteren, nassen, kalten Tunnel schaukelt und scheppert – und mit einer köstlichen Duftmelange in der Nase – da glaubt man´s ihm gern. Es fühlt sich an wie eine rasende Fahrt, in regelmäßigen Abständen hängen Lampen, und Lichtreflexe flirren über den dunklen Fels. Im Gepäck: Christstollen.

1300 Meter tief im Stollen lagert Jörg Liese seine Stollen. Video: Mario Vedder

Stollen mit echter Bourbon-Vanille und Ceylon-Zimt

In Bestwig-Ostwig hat der Bäcker- und Konditormeister Jörg Liese seine Backstube, dort mischt und backt der 54-Jährige die Stollen – mal mit in Likör mariniertem Zitronat, mal ohne. „Das mag halt nicht jeder, soll deshalb aber nicht auf Christstollen verzichten müssen“, meint Liese. Mit echter Bourbon-Vanille und Ceylon-Zimt hier, mit gutem Whisky und Marzipan dort, mit einigen auch ungewöhnlichen Zutaten mehr.

Jörg Liese hält in seiner Backstube in Bestwig-Ostwig ein Blech mit Christstollen. Foto: Mario Vedder
Jörg Liese hält in seiner Backstube in Bestwig-Ostwig ein Blech mit Christstollen. Foto: Mario Vedder

Zum Reifen in den Stollen

Liese backt auch einen Waldfeenstollen mit Honig und Hanf oder auch einen Blaubeerstollen ohne Rosinen, dafür mit getrockneten und gezuckerten Heidelbeeren. Mit erlesenen, vom Chef handverlesenen Zutaten. Er tunkt die Stollen in flüssiger Butter, wendet sie in Zucker, wälzt sie in Mandeln. Der Backofen knackt vor Hitze und es riecht satt und süffig dort, wo Rosinen in Champagner eingelegt werden. Und dann packt er welche, sie sind noch nicht fertig und müssen reifen, in Kisten und auf Paletten, fährt mit ihnen in den Stollen.

Jörg Liese hält in seiner Backstube in Bestwig-Ostwig ein Blech mit Christstollen. Foto: Mario Vedder
Jörg Liese in seiner Backstube in Bestwig-Ostwig. Foto: Mario Vedder

Für seine Christstollen hat Jörg Liese schon Gold-Medaillen bekommen

Ausgezeichnet auch deshalb, weil manche Sorte ein paar Wochen im Berg reift? Sicher, aber auch deshalb, weil hier mit Liebe, Lust und Leidenschaft gebacken wird. Und bekommen tut dem Stollen die Lagerung unter Tage zweifelsohne. Als einer der ersten Produzenten in Deutschland begann Liese im Jahr 2003 damit, Christstollen versuchsweise unter Tage, in diesem Fall in einem alten Bergwerk, reifen zu lassen. „Glück Auf!“ heißt der Stollen, benannt nach dem Gruß der Bergleute.

Der Eingang zum  Eickhoff-Stollen im ehemaligen Bergwerk Ramsbeck. Foto: Mario Vedder
Der Eingang zum Eickhoff-Stollen im ehemaligen Bergwerk Ramsbeck. Foto: Mario Vedder
Erzabbau bis in die 70er Jahre

Im Bergwerk Ramsbeck wurde Jahrhunderte lang Erz abgebaut bis der Abbau Mitte der 1970er-Jahre eingestellt wurde. Heute ist es ein lebendiges und faszinierendes Museum, ein Besucherbergwerk. In das Gäste mit der Grubenbahn (die aber mit geschlossenen Personenwagen) kilometertief in den Berg einfahren und im Rahmen von Führungen unter anderem Abbau-Maschinen und Förderanlagen gezeigt und erklärt bekommen. Hier unten finden auch Whisky-Tastings statt und Gruben-Light-Dinner. Neben dem für Besucher zugänglichen Bergwerk gibt es zig Kilometer weiterer Gänge.

Das Sauerland ist voller Stollen

Für Jörg Liese und seine Stollen-Experimente lag das Bergwerk Ramsbeck nicht nur geographisch nah: „Vor zwanzig Jahren habe ich darüber nachgedacht, wo es für meine Christstollen einen perfekten Platz zum Reifen und Ruhen geben könnte“, sagt Jörg Liese, „sehr schnell sind mir die Stollen, Höhlen und ehemaligen Bergwerke eingefallen – wir sind schließlich im Sauerland!“

Sein Ur-Opa war Bergmann und Stollen, Höhlen, gibt es hier an nahezu jeder Ecke, in vermutlich fast jeden Berg führt irgendein Gang hinein. Jörg Liese wollte es dann einfach mal machen und probieren, fand mit den Stollen im Besucherbergwerk Ramsbeck einen optimalen Ort. „Hier herrschen die besten Bedingungen, die ich mir vorstellen und die ich finden kann“, sagt Meister Liese.

Es ist also nicht nur ein Marketing-Gag?

„Nein. Christstollen soll je nach Sorte bis zu vier Wochen reifen, damit sich der Geschmack voll entwickeln kann. Das geschieht am besten an einem kühlen Ort mit gleichbleibender Luftfeuchtigkeit.“ In Höhlen und Stollen tief im Berg ist das so von Natur aus. Die hohe Luftfeuchtigkeit von 96 Prozent und die konstant niedrige Temperatur von neun bis zehn Grad verhindern ein Austrocknen des Stollens.

„So bleibt er saftig!“

Konditormeister Jörg Liese

„Die ätherischen Öle der Gewürze, also die Aromen, können sich nicht verflüchtigen und durchziehen den Stollen schön langsam. Deshalb schmeckt der Stollen aus dem Stollen doch einen Tick anders  – abgerundeter, würziger, gut durchzogen mit den feinen Aromen.“ Mit der ganzen Stollen-Produktion einzufahren, sei viel zu aufwändig. Untertage reifen nur zwei Sorten.

Jörg Liese packt seinen Christstollen im Eickhoff-Stollen im ehemaligen Bergwerk Ramsbeck auf einen Anhänger der Grubenbahn. Foto: Mario Vedder
Jörg Liese packt seinen Christstollen im Eickhoff-Stollen im ehemaligen Bergwerk Ramsbeck auf einen Anhänger der Grubenbahn. Foto: Mario Vedder
Einfahrt einmal pro Woche mindestens

Mindestens einmal pro Woche fährt Jörg Liese in der Saison in den Stollen ein, um die neuen Christstollen einzulagern und die fertigen abzuholen. Aus der Experimentierfreudigkeit des Konditors ist längst eine große Freude an der ganzen Geschichte geworden, auch an der des guten Geschmacks.

„Wir wollen dem Kunden ein besonderes Geschmackserlebnis geben“, sagt Jörg Liese, „… und unsere Stollen haben Handwerk, Herkunft und Geschichte.“  An der ersten Weiche stoppt der Zug, es riecht nach Kardamom. Ganz leicht nur, aber in dieser Umgebung ein völlig absurder Sinneseindruck. Was man riecht, passt nicht mit dem zusammen, was man sieht, hört und fühlt. Selbst dann nicht, wenn man Deutschlands verrücktestem Stollenbäcker gegenüber sitzt im Cabriowaggon und versucht, ihm zuzuhören auf diesem sonderbarem Trip.

Ein Stollen im Bergwerk Ramsbeck. Foto: Mario Vedder
Ein Stollen im Bergwerk Ramsbeck. Foto: Mario Vedder
Geheime Unterwelten im Stollen

Links geht es weiter in das Besucherbergwerk, rechts führt ein Stollen in die geheimen Unterwelten. Aus diesem, für alle verbotenen, Gang weht ein kalter Luftzug, ein Wind ganz tief aus dem Berg, beinahe ein eisiger Hauch. Und an der Weichenstelle – einem kleinen, etwas weiter aus dem Fels geschlagenen Ort – duftet es; ganz fein nur, nach Rosinen, Vanille und Zimt. Es riecht nach nassem Stein. Dunkelgrauer, schroffer Fels ringsum und dreihundert Meter darüber, die Gleise aus der Finsternis von irgendwo nach nirgendwo, an der Stollendecke hängen Tropfsteine dünn wie Makkaroni.

Christstollen lagern in Kisten im Eickhoff-Stollen im ehemaligen Bergwerk Ramsbeck auf einem Anhänger der Grubenbahn. Foto: Mario Vedder
Christstollen lagern in Kisten im Eickhoff-Stollen im ehemaligen Bergwerk Ramsbeck auf einem Anhänger der Grubenbahn. Foto: Mario Vedder
Lagerung in durchlässigen Kisten

Hier stehen graue Kunststoffkisten auf Holzpaletten. Jörg Liese schiebt die Plane beiseite. „Den Christstollen lagere ich einen Monat hier unten in durchlässigen Kisten, Luft und Feuchtigkeit können zirkulieren“, sagt er. Liese muss sich heute morgen beeilen, die Kisten vom Loren-Anhänger runterwuchten, die von der Palette aufladen. Sein Sonderzug fuhr zwar eine Stunde vor Museumsöffnung ein, aber sein Zeitfenster beginnt sich zu schließen.

Es ist kalt, feucht und dunkel - optimal für den Christstollen. Foto: Mario Vedder
Es ist kalt, feucht und dunkel – optimal für den Christstollen. Foto: Mario Vedder
Nach drei Glockenschlägen geht‘s wieder raus aus dem Berg

Es tropft von der Decke und plätschert in dem kleinen Bach, der durch den Stollen fließt. Nach Marzipan riecht es auch. „Probieren tun wir nachher oben“, sagt Jörg Liese. Denn es wird Zeit. Drei Glockenschläge, Kupplungen krachen, und die Bahn ruckt an. Meister Liese erzählt jetzt von seinem Whisky, aber das ist eine ganz andere Geschichte. Und überraschen tut hier sowieso nichts mehr.

Konditormeister Jörg Liese zeigt rund 1300 Meter tief im Berg einen Stollen. Foto: Mario Vedder
Konditormeister Jörg Liese zeigt rund 1300 Meter tief im Berg einen Stollen. Foto: Mario Vedder

Weitere Informationen:

– Die Christstollen unter Tage sind nicht öffentlich zugänglich. Besucher fahren im Rahmen einer  Führung im Besucherbergwerk Ramsbeck daran vorbei. Man kann die Christstollen von Jörg Liese kaufen in Bestwig-Ostwig, in Bestwig-Velmede, in Brilon und in Olsberg-Bigge und im Internet (s.u.)

– Backhaus – Café Liese, Bestwig / NRW, www.stollenspezialist.de

– Besucherbergwerk Ramsbeck, Bestwig / NRW www.sauerlaender-besucherbergwerk.de

      –      Diese Reise wurde unterstützt von Sauerland Tourismus.

– Alle Angaben ohne Gewähr. Dieser Bericht stellt keine Wertung untereinander und / oder gegenüber anderen Unternehmen, Personen, Waren oder Dienstleistungen o.Ä. dar und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.  

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