Von Mario Vedder

Perpignan, Frankreich. Kurz vor Perpignan wird der Wind stärker, das Licht greller, intensiver, farbiger. Ich bin endgültig im Süden Frankreichs angekommen, in Perpignan, meiner Basis für die nächsten Tage, einer kurzen Reise in die visionäre Kunstwelt. Es ist wunderbares Wetter, perfekt für eine erste Stadterkundung. Zu Fuß in Richtung Altstadt.

Das Zentrum der Welt – Dalis Vision im Bahnhofs von Perpignan

Salvatore Dali auf einem riesigen Stuhl in Perpignan. Foto: Mario Vedder
Der wohl berühmteste Besucher Perpignans: Salvatore Dali auf einem riesigen Stuhl. Foto: Mario Vedder

Nach nur wenigen Schritten fällt der Blick auf einen riesigen Stuhl, auf dem mit ausgebreiteten Armen, na wer wohl, sitzt? Richtig, Salvatore Dali. Der Mann hatte ja bekanntlich im Bahnhof von Perpignan das „Zentrum der Welt“ gesehen, 1963 war das, als er auf den Boden stampfte und es ausrief: „C’est le Centre de Monde!“ Auch wenn davon heute nicht mehr viel zu erkennen ist, irgendwie fühlt man es, das Zentrum, die imaginäre Kraft, den Atem Dalis.

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Das Zentrum der Welt – Dali erblickte es in Perpignan. Foto: Mario Vedder

Der berühmte Künstler hatte den Bahnhof von Perpignan geliebt, war oft aus dem spanischen Figueres hierhergekommen, um seine Kunst in alle Welt zu verschicken, seine Freunde reisten hier an, und seine wohl wichtigste Begegnung, Gala, die Frau Paul Èluards, die 1929 zu Dali kam und fortan seine Muse, seine Geliebte und spätere Ehefrau sein sollte. Dalis wohl berühmtestes Gemälde ist nur folgerichtig „La Gare du Perpignan“, 1965 schuf er es, eine monumentale phantastische Vision, gedanklich hier entstanden, im Bahnhof, ein schwebender Eisenbahnwaggon in gleißendem Licht, andächtige Menschen, schemenhafte Figuren – das Schlüsselwerk des Kunstvisionärs, heute im Original im Museum Ludwig in Köln zu sehen. Dali, einer der exzentrischsten und visionärsten Künstler seiner Zeit. Nun ja, auf dem hohen Stuhl vor mir sitzt er jetzt also und breitet seine Arme aus. Eine riesige Statue, auf dem Platz der Katalonen, erst vor ein paar Jahren aufgestellt, zu Ehren des wohl berühmtesten Besuchers dieses Fleckchens Erde. Dali soll mich noch weiter begleiten, morgen, in Collioure, in Figueres, doch jetzt gilt es erstmal, ein weiteres Highlights der katalanischen Stadt zu erkunden.

Perpignan, Collioure und Figueres – das magische Dreieck der Kunst

Die Stadt lebt, die Menschen geniessen die Sonne, den dahinfließenden Tag. Ich schlendere durch die Gassen, über kleine Plätze und will zum Königssitz von Mallorca. Hier in Perpignan hatten die Könige von Mallorca eine Zeit lang ihren Sitz. Der riesige Palast der mallorquinischen Könige liegt im Süden der Altstadt.

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Der Königssitz des Königsreichs von Mallorca in Perpignan. Foto: Mario Vedder

Die Anlage stammt aus der Zeit, als Perpignan Hauptstadt des Königsreiches von Mallorca war und wurde schon vor über 700 Jahren errichtet. Außer einer Menge Mauerwerk und wirklich schönen Aussichten auf die Stadt hat die Festung nicht mehr viel zu bieten. Aber es ist die greifbare Geschichte, die sich hier in hohen Mauern zeigt, die Verbindung zwischen Spanien und Frankreich, die gerade hier in Perpignan durch die allerorts zu sehenden katalanischen Farben und Fahnen, Stoffe und Fähnchen lebendig ist. Perpignan ist das französische Herzstück der Region Katalonien und wie sehr sich die Menschen hier mit ihrer Region verbunden fühlen, wie sehr sie es lieben, ihr Leben, ihre Wurzeln, das beweist ein recht plötzlich einsetzender ohrenbetäubender Lärm, der näher und näher kommt: Ein Autokorso mit Hupen, Trompeten und singenden Menschen, in den Autos, auf kleinen Minitrucks, zwischen den Wagen.

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Ein Farbenmeer aus Gelb und Rot, Katalonien feiert. Foto: Mario Vedder

Ein Farbenmeer aus Gelb- und Rottönen

Alle schwenken Fahnen und freuen sich, tanzen, zelebrieren das Leben. Ein Fahnen- und Farbenmeer aus Gelb- und Rottönen, eine Geräuschkulisse aus Hupen, Trompeten und vor Freude gröhlenden Kehlen. Ich habe keinen blassen Schimmer, was hier vorgeht, aber es gefällt mir. Durch kleinere und kleinste Gassen der kleinen Altstadt schlendere ich wieder zurück ins Zentrum. Ein schattiger Platz am Place Francois Arago, perfekt für ein Bier, drei kleine Bistros haben ihre runden Tische zwischen Palmen und Arkaden aufgestellt, die späte Sonne heizt immer noch ganz ordentlich ein.

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Das Leben genießen in Perpignan. Foto: Mario Vedder

Am Nebentisch ein Bild wie ein Gemälde: ein junges, hübsches Hippie Mädchen zieht sich ihre roten Schmollippen mit einem kräftigen Lippenstift nach, um ihren Hals hat sie ein buntes Tuch gelegt, sie trinkt Perrier, liest in einem dünnen Buch, ihr Begleiter trägt Baskenmütze, trinkt Bier, liest Figaro. Am Nebentisch diskutiert eine Motorradfahrerfamilie lautstark. Mutter, Vater, Sohn. Selten. Es liegt eine fröhliche Stimmung in der sonnigen Luft, am Bierglas perlen Tropfen im gleißenden Gegenlicht, ein Hupen und Dröhnen kommt näher. Der Corso, er hat über Umwege auch die Innenstadt erreicht, Lärm, den ich schon kenne, wohlwollend annehme, ja genieße, kommt näher, biegt quasi direkt vor meinem Bistrotisch rechts ab, die Menschen feiern, singen, tanzen. Inzwischen ahne ich auch warum, es ist ihre Rugby-Mannschaft, so scheint es mir, die aufgestiegen ist in eine höhere Liga, vielleicht auch nur den Pokal gewonnen hat, die Menschen sind stolz auf ihre Mannschaft, feiern, Überschwang der Gefühle. Ich bestelle ein weiteres Bier und genieße den Moment. Katalonien feiert, heute in Perpignan. Und ich darf teilhaben. Wahnsinn.

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Perpignan ist das französische Herzstück Kataloniens. Foto: Mario Vedder

Es tut geradezu unglaublich gut, hier zu sein, die Menschen und ihr Leben zu genießen. Ich beschließe den Tag mit einem ausgiebigen katalanischen Mahl, mit Braten und Gemüse und mit Menschen, die immer noch mit Fahnen auf den Schultern durch die Stadt ziehen und feiern. Und mit einem sehr guten Gefühl für den nächsten Tag. Ein weiteres Highlight Frankreichs steht an: die Côte Vermeille, mit dem Motorrad Richtung Spanien entlang der zerklüfteten Küste, auf einem Traum an Asphalt, einem wahres Kurvendefilee. Von der Côte Vermeille zur Costa Brava, Start in Banyuls-sur-Mer, Ziel ist das spanische Städtchen El Port de la Selva, knapp 40 Kilometer mehr oder weniger immer entlang der Küste, immer wieder mit faszinierenden Ausblicken auf das Meer. Schon seit Tagen freue ich mich darauf. Auch, weil wieder einer meiner Lieblingskünstler Teil der Tour sein wird – Salvatore Dali. Wer sonst hier unten am Mittelmeer.

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Collioure, einst ein verschlafener Fischerort, heute beliebt bei Kunstfreunden und Touristen. Foto: Mario Vedder

Mein Weg führt mich über so klangvolle Namen wie Banyuls sur Mer, El Port de la Selva oder Port Vendres in den wunderschönen Küstenort Collioure, unter aktuell fantastischen Wetterbedingungen, in Gedanken aber über 100 Jahre zurück, in eine Zeit, als es die Künstler und Maler in diese Gegend zog, nach Collioure, einem wunderschönen, verschlafenen Fischerdorf, 1904 entdeckte Henri Matisse den Ort für sich, die schmalen Gassen, das Meer, das so wundervoll liebliche Licht und die intensiven Farben. Immer häufiger kam er hierher, um zu malen, neue Ausdrucksformen zu finden, dem Erleben von Formen und Gefühlen mit leuchtenden Farben eine Gestalt zu geben, die Geburt des Fauvismus, Start der klassischen Moderne.

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Künstler zog es gerne ins “Les Templiers“, oft wurde der Sage nach mit Kunst statt Bargeld gezahlt. Foto: Mario Vedder
Matisse und die Farben

Immer mehr Künstler folgten ihm in den Jahren drauf, ließen sich auch einnehmen vom Zauber der leuchtenden Küste. Viele gingen damals ins wunderbare Café und Hotel „Hostellerie de Templiers“, auch so berühmte Namen wie Pablo Picasso zog es hierher und es geht die Sage, dass der Hotelbesitzer sich gerne in Kunstwerken anstatt Geld auszahlen ließ, nun, so ziemlich jeder bekannte und unbekannte Künstler hinterließ ihm ein Werk, zumindest eine Zeichnung im Gästebuch, ein toller Ort, um zu pausieren.

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Pause ganz im Zeichen der Kunst: die Brasserie Les Templiers. Foto: Mario Vedder
Traumroute zwischen Frankreich und Spanien

Die aufregende Traumstraße beginnt hier, entlang der Côte Vermeille, die über Portbou nahtlos in die Costa Brava übergeht, eine Strecke, die sich von Banyuls-Spur-Mer bis nach El Port de la Selva windet, auf und ab, mal enge, mal weite Kehren schlagend und immer wieder mit wahnsinnig schönen Ausblicken auf das Meer überrascht. Eine wundervolle Symbiose von beeindruckendem Naturschauspiel und spektakulärem Kurvenspaß. Und das bei blauem, wolkenlosen Himmel – Wahnsinn. Es sind nur knapp 40 Kilometer, die sich aber immer und immer wieder lohnen, nicht nur wegen der Ausblicke, auch wegen der kulinarischen Highlights, frischen Meeresfrüchten und Fisch, frisch gefangen und gegrillt, Genuß pur.

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Knapp 40 Kilometer spektakulärer Kurvenspaß an der Grenze zwischen Frankreich und Spanien. Foto: Mario Vedder

Aber zurück zur Kunst, weniger der Kurvenkunst, als mehr der Malerei. Es waren Maler wie Matisse, Derain, Picasso oder Dali, die das Licht an der Côte Vermeille liebten, das Meer, die Farben, vor allem Henri Matisse war vom kleinen Fischerörtchen Collioure angetan, immer und immer wieder kam er her, malte und arbeitete in seiner Farbenwelt. Und kehrte natürlich auch im „Les Templiers“ ein.

Ich fahre die Tour mit großem Augen und offenem Herzen, genieße die Örtchen und Orte und vollende den Kunsttag mit einem Besuch im spanischen Figueres, wo das Dali Museum dem verrücktem Leben noch das i-Tüpfelchen aufsetzt. Eine skurrile Welt, aufgebaut in den Ruinen des historischen Theaters von Dalis Geburtsstadt, bis ins kleinste Detail vom Künstler selbst erdacht und gestaltet. 1974 wurde das Museum eingeweiht, über 1500 Kunstwerke wie Gemälde, Fotografien, Skulpturen zeigen die ganze Bandbreite von Salvatore Dalis Schaffen, er selbst liegt hier begraben, im Zentrum seines visionären Kosmos.

Das Teatre-Museu Dali in Figueres ist ein surrealer Ort, ein Raum der Visionen, ein unberechenbares, faszinierendes Kunsterlebnis.

Meine Anreise mit dem eigenen Motorrad aus Deutschland ist eine herrliche Art, sich dem magischen katalanischen Kunstdreieck zwischen Perpignan, Collioure und Figueres zu nähern, aber auch eine sehr zeitaufwendige. Wer lieber fliegen mag: Der Flughafen Perpignan wird über Paris angeflogen, Alternativen sind die Flughäfen in Montpellier oder Barcelona und dann die Weiterreise per Zug oder Mietfahrzeug. Und neben all der Kunst und Kulinarik ist gibt es entlang der Küste einige wunderbare Orte zum Baden, die gesamte Gegend bietet sich gerade im späten Herbst oder im Frühjahr zum Wandern und Radfahren an, auch die Pyrenäen sind für Ausflüge oder mehrtägige Wandertouren schnell zu erreichen.

https://www.salvador-dali.org/en/

http://www.visitcollioure.co.uk/

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