Von Oliver Abraham

Hausen/Rhön. Die Vielfalt der Streuobstwiesen: Wer kennt schon den Schönen von Herrnhut, wer die Köstliche von Charneu? Der erste ist ein Apfel, die zweite eine Birne. Rund um den Ort Hausen in der Bayerischen Rhön liegt ein aromatischer Duft in der Herbstluft, die Obstbäume stehen in voller Pracht.

Streuobstwiesen wie hier in der bayerischen Rhön sind auch ein ökologisch wertvoller Lebensraum: Bis zu 5.000 Tier- und Pflanzenarten leben hier. Foto: Mario Vedder
Streuobstwiesen wie hier in der bayerischen Rhön sind auch ein ökologisch wertvoller Lebensraum: Bis zu 5.000 Tier- und Pflanzenarten leben hier. Foto: Mario Vedder

Alte Bäume, junge Bäume, licht auseinander und mit breiter Sortenvielfalt, solchen Sorten, die kaum noch jemand kennt, wie den Roten Ausbacher zum Beispiel oder den Münnerstädter. Hier stehen Pferde unter den Bäumen, dort Kühe. Äpfel und Birnen an den Zweigen, Pflaumen und Walnüsse unter buntem Laub – ländliches Idyll, aber selbstverständlich ist das nicht.

Streuobstwiesen gehörten früher zu jedem Dorf

Streuobst in der Rhön. Video: Mario Vedder

Solche Streuobstwiesen sind in der Rhön selten geworden. Man brauchte sie nicht mehr und wollte sie vielleicht auch nicht. Es wurde einfacher und billiger, Obst zu kaufen. Die Anlage und Pflege solch einer Sammlung historischer Apfelsorten ist auch viel Arbeit. Wenn Obstbäume verstreut in der Landschaft stehen, dann nennt man das Streuobst, so, wie es früher traditionell zu jedem Dorf gehörte. Typisch ist, dass die Bäume in weitem Abstand wachsen, Streuobstwiesen wurden auch anderweitig genutzt – zum Beispiel als Weide oder zum Heuen. So, wie es hier noch heute ist.

Apfelernte in der Rhön, es gibt hunderte, wenn nicht tausende, Apfelsorten. Foto: Mario Vedder
Apfelernte in der Rhön, es gibt hunderte, wenn nicht tausende, Apfelsorten. Foto: Mario Vedder

Erntezeit in der Rhön

Ein Auto mit Anhänger rumpelt über den Feldweg, ein Traktor tuckert in die Wiese, es ist Erntezeit. Gäbe es nicht Leute, die diese Äpfel und Birnen – und anderes Obst mehr – zu schätzen wüssten, gäbe es nicht Leute, die diesen Bestand pflegen würden, es wäre ärmer um das Obst. Ärmer um Vielfalt und Geschmack. Früher waren solche Bestände an Obstbäumen ein prägendes Landschaftselement, in der Rhön und überall im ländlichen Deutschland. Jedes Dorf hatte seine Bäume, mitunter seine eigenen Sorten, die nur dort wuchsen. Es gibt hunderte, wenn nicht tausende, Apfelsorten, aber mit den Bäumen verschwand auch das Wissen um die Äpfel. Und das ist nicht nur ein Verlust an Geschmack.

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Die Äpfel reifen in der Rhön. Foto: Mario Vedder

Beim Hausener Apfelmarkt am 3. Sonntag im Oktober kann und darf man Äpfel und Birnen an Verkaufsständen probieren.

„Nur, wenn wir unser Obst nutzen, können die Bestände an Streuobst dauerhaft erhalten werden“, sagt Adam Zentgraf aus Hausen, „unsere Kulturlandschaft ist unser Kapital!“.

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Apfelernte in der Rhön. Foto: Mario Vedder

Zentgraf ist Hauptinitiator des Streuobstprojektes in Hausen. Das Obst werde selbst verzehrt oder für den Eigenbedarf zu Saft und Wein verarbeitet. An einer Sammelstelle für Kelterobst werde das Bio-Obst zudem für einen Aufpreis abgegeben. Die Grundstücke sind fast alle in Privatbesitz.

Probieren nur mit Erlaubnis

Nur, wenn man auf einen Besitzer trifft und ihn fragt, und der es auch erlaubt – und nur dann! -, darf man auch probieren.

„Äpfel und Birnen aus der Rhön, und andere an diesem Standort gerechte Sorten, haben voll ausgereift ein sattes Aroma und eine gute Lagerfähigkeit“, berichtet Zentgraf, der gelernter Steinmetz ist und sich schon seit mehr 30 Jahren mit dem Thema Streuobst beschäftigt. Er erzählt beim Gang über die Streuobstwiese; „… außerdem sind sie robust und der hiesigen Witterung angepasst, damit kann bei extensiver Bewirtschaftung eine weitgehende Freiheit von Pestizidrückständen und anderen Belastungen gewährleistet werden.“ Wohlschmeckend, vielfältig lecker, sind viele der alte Sorten, und etliche auch für Allergiker geeignet.

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Hier wächst immer noch eine hohe Zahl an alten Sorten. Foto: Mario Vedder

Alte Sorten in der Rhön

In der Rhön wächst immer noch eine hohe Zahl an alten Sorten, und manche kennt niemand mehr – zumindest nicht mit Namen. „Oh, welche Sorte das nun ist, kann ich gar nicht sagen …“. Adam Zentgraf schaut zu einem Baum und überlegt, manche Sorten sind (bis) heute unbekannt, ihre Namen vergessen. Doch immer wieder taucht etwas aus der Versenkung auf: „Die Rote Walze galt als ausgestorben. Bei einer Sortenbestimmung wurde sie in Hausen wiederentdeckt.“

Vom Aussterben bedrohte Sorten nachgepflanzt

Auf rund fünf Hektar haben die Leute in Hausen im Jahre 2001 zirka 500 Bäume gepflanzt. Sie stammen aus einer Sortenbestimmung von 1996, die flächendeckend in der ganzen Rhön stattfand. Dabei wurden fast 500 Sorten ausfindig gemacht. Um die 200 Sorten, die vom Aussterben bedroht waren, wurden gerettet und in Hausen in einem Obstsortenerhaltungsgarten ausgepflanzt, so Zentgraf. Durch eine Edelreiserbörse und Versand kann man diese alten Sorten erwerben.

„Wenn wir alte Obstsorten nicht erhalten, geht nicht nur ein einzigartiges Kulturgut verloren, sondern auch eine wertvolle Genreserve für zukünftige Züchtungsarbeit“, so Zentgraf.

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Das hier ist eine lebende Gen-Bank. Foto: Mario Vedder

Denn was einmal weg ist, ist wirklich weg – das hier ist auch eine lebende Gen-Bank. Wie man an der der Roten Walze sieht. Die eben nicht weg war, die nur wiedergefunden werden musste. Werden immer noch unbekannte Sorten entdeckt oder vorbeigebracht? „Ja“, antwortet Zentgraf, noch immer würden historische oder vergessene, unbekannte oder verschollene Sorten gefunden – am Feldrand, in der Hecke. Irgendwo und überall, eigentlich können historische Sorten die Zeit überdauert haben. „Die älteste mir bekannte Sorte ist die Rote Walze, diese stammt aus dem 16. Jahrhundert“, sagt er. Fast 500 Jahre lang dienten die Streuobstbestände der lokalen Bevölkerung zur Versorgung mit Tafelobst und zum Mosten, waren Vitamin-Lieferant, denn auch die Lagerfähigkeit bis zur nächsten Ernte war ein wichtiger Faktor.

„Rund um Hausen haben wir noch rund 70 Hektar Streuobstflächen, das ist, von der Größe und Vielfalt her betrachtet, auch in der Rhön etwas Besonderes“, sagt Adam Zentgraf.

Adam Zentgraf ist Hauptinitiator des Streuobstprojektes in Hausen. Foto: Mario Vedder
Adam Zentgraf ist Hauptinitiator des Streuobstprojektes in Hausen. Foto: Mario Vedder

Als sie in Hausen vor rund 25 Jahren die Sorten bestimmt haben, durch Fachleute haben bestimmen lassen, fanden sich etwa 50 Apfel- und 15 Birnensorten, dazu Zwetschgen, Pflaumen, Kirschen und Walnüsse – allein in und um Hausen. „Seit Ende der 1940er-Jahre hat aber auch bei uns der Baumbestand wegen sinkender Nachfrage und niedriger Verkaufspreise abgenommen“, berichtet Adam Zentgraf, „in den 1970er Jahren zahlte die Europäische Gemeinschaft sogar Rodungsprämien für gefällte Obstbäume – davon ist Hausen glücklicherweise verschont geblieben. Wir konnten unsere Streuobstbestände weitestgehend erhalten, auch, weil unser Obst beispielsweise all die Jahre und immer noch zum Mosten oder Brennen verwendet wird.“

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Apfelernte in der Rhön. Foto: Mario Vedder

Allerdings fanden in diesen vergangenen Jahrzehnten auch in Hausen nicht genügend Nachpflanzungen statt, um den Gesamtbestand auch für die Zukunft zu sichern. Im Rahmen der Dorferneuerung Ende der 1990er Jahre haben die Leute von Hausen aber einen Anfang gemacht. Und: „Mit dem Lehrpfad möchten wir Besuchern zeigen und deutlich machen, wie wertvoll Streuobstbestände auch für den Artenschutz, für unsere Umwelt, sind“, so Adam Zentgraf, „und wer mag, kann für einmalig 50 Euro eine Baumpatenschaft erwerben und wenn er im Ertrag steht, zehn Kilo davon ernten. Außerdem bieten wir auf Anfrage Führungen an.“ Ein Schild vor Ort weist ausdrücklich darauf hin, dass das Sammeln und Pflücken von Obst nur mit dem Einverständnis des Eigentümers erlaubt ist.

Streuobstwiesen sind auch ein ökologisch wertvoller Lebensraum: Bis zu 5.000 Tier- und Pflanzenarten leben dort, darunter viele vom Aussterben bedrohte Vogel-, Käfer oder Schmetterlingsarten. Auch Pflanzen, die auf intensiv genutzten Wiesen und Äckern keinen geeigneten Lebensraum mehr haben, finden auf einer Streuobstwiese einen oft letzten Rückzugsraum. Adam Zentgraf schultert seine Leiter und geht mit einem Korb in die Streuobstwiese, ein Pflücktuch hat er sich umgebunden.

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Zentgraf kennt wie kein anderer die Äpfel in der Rhön. Foto: Mario Vedder

Am Himmel kreisen Rotmilane, das sind andernorts selten gewordene Greifvögel, der Wind weht den Klang von Kirchenglocken vorüber. Hier sind sie also (wieder) – Reders Goldrenette, Jochusapfel, Sandberger Renette, Hausener Zitronenapfel, viele, viele mehr. „Das sind alte Rhöner Sorten“, sagt Zentgraf, er schaut nach den Apfelbäumen, voll prangen die Früchte an den Ästen; manche rot und andere gelb, einige grün und der Rhöner Streifapfel auch, na klar, gestreift.

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Apfelernte in der Rhön. Foto: Mario Vedder

Es riecht nach Heu und köstlich, fruchtig nach dem Obst; der Duft reifer Äpfel. Es ist Herbst, Zeit für die Ernte. Schwalben sausen durch die Luft. Das Muhen naher Kühe ist zu hören und fern ein Traktor, der scharfe Pfiff eines Bussards hoch am Himmel. Adam Zentgraf steht in der Krone eines Baumes und legt Apfel für Apfel in das Pflücktuch. Er reicht einen, der Apfel schmeckt süß, köstlich, erfrischend. „Die Goldrenette von Blenheim ist meine Lieblingssorte“, sagt er, „…sie hat einen nussartigen Geschmack, lagert sich bis Februar und eignet sich auch gut zum Backen.“

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