Von Oliver Abraham
Schweiz, Interlaken, Grimselpass. Dies ist der Beginn einer außergewöhnlichen Anreise in den Winterurlaub, zu dem Skiausrüstung gleich gar nicht befördert wird. Zwar liegt das Ziel in den Bergen, doch ein wintersportliches Ansinnen ist dies nicht. Kann es nicht, soll es nicht sein. Es geht zu einem Refugium der Ruhe, wo sich Winterwandern auf eine halbe Stunde beschränkt. Mit hinauf in die Schweizer Alpen kommt jetzt nur, wer eine Reservierung hat, und die Anreise ist so ungewöhnlich, dass sie nur in Begleitung stattfinden kann. Das gehört dazu, schafft Abstand und nimmt Tempo raus mit jeder Etappe.
Zum Hotel Grimsel Hospiz geht‘s nur per Postauto , Stollenfahrt und Gondelbahn
Das Postauto, also ein Bus zur Personenbeförderung der Schweizer Post, bringt die Leute ab Innertkirchen her, am Ende der Strecke steigen die Gäste in eine Gondelbahn. Schwebend geht es hinauf und erhaben ist es, höher, immer höher nur. Welch ein Bergpanorama der Schweiz oberhalb von Guttannen, der Blick hinunter ins Haslital, Kanton Bern. Das Ziel ist das Grimsel Hospiz, ein historisches Viersterne-Alpinhotel, gelegen auf rund 1.900 Höhenmetern nahe der Passhöhe zwischen den Kantonen Bern und Wallis, dort, wo die Gipfel Parade stehen. Wieder steigen die Gäste um, diesmal in einen kleinen Bus. Der passiert ein orangefarbenes Tor und fährt in den Berg.
Stollen führen tief in den Berg
In den Berg und durch Stollen, die tief in den Fels führen und kilometerlang sind, ausgebaut zur Straße. Die Scheinwerfer vom Gegenverkehr und Leuchtstoffröhren werfen Lichtreflexe an den feuchten Fels. Verkehrsschilder stehen hier und wieder öffnen sich tonnenschwere Tore. Kavernen von kathedralenhaftem Ausmaß befinden sich in diesem Berg. Es riecht nach Metall und nassem, kalten Gestein. Im Gebirge arbeiten Leute, die das Geheimnis kennen, aus dem Wasser der Alpen Strom zu machen – das System aus Stollen, Rohren und Hallen, darin stehen haushohe Generatoren, ist ein Wasserkraftwerk, gespeist aus weiter oben in den Bergen gelegenen Stauseen. Es geht zu Fuß weiter und das Geräusch über den Boden scharrender Rollkoffer wird von den Felswänden zurückgeworfen.
Eine kleinere Seilbahn bewältigt die vorletzte Etappe, sie schwebt über tiefem Grund und vorbei an Gipfeln, die, schneebedeckt vor blauem Himmel, zum Greifen nah erscheinen. Die letzten Meter schließlich zum Grimsel Hospiz, zum Hotel, geht es zu Fuß. Mehr Strecke zum Spazieren ist kaum machbar: Der sogenannte Winterwanderweg erschöpft sich auf eine Runde um die Anlage – bei sehr gemächlichem Tempo dauert das eine halbe Stunde. Das Areal darf aus Sicherheits- und Wildschutzgründen nicht verlassen werden. Was man hier tun kann? „Gepflegt abhängen“ nennen es die Leute vom Hospiz selbst. Mal nichts tun, nichts tun müssen. Eine Führung wird angeboten, in die Stollen und zu der uralten Kristallkluft, die beim Bau des Stollens gefunden wurde. Eine Sauna gibt es zum Beispiel.
Uns sonst? Ausruhen und Ausschlafen, Buch lesen oder Brettspiel, gut und gepflegt Essen und Trinken, Genießen und Schauen. Zum Beispiel auf die Berglandschaft des Wallis im Süden und die Berge des Berner Oberlandes im Norden, im Westen stehen die Viertausender Finsteraarhorn und Fiescherhorn. Der Mond wacht noch am Morgen über den Gipfeln, das Tal – flankiert von diesen himmelhohen Hörnern – windet sich durch das auf das Rohe Reduzierte. Kälte brennt in der Nase.
Ein Teil der Felsenwelt – das Grimsel Hospiz
Da steht das Haus, fünfgeschossig mit Treppengiebel, grau-braunes Sichtmauerwerk, wuchtig und wehrhaft; wie ein Teil der Felsenwelt, wie eine Burg. Der Schnee liegt mannshoch geschippt am Wegesrand auf der Terrasse, bis aufs Dach geweht an einer Flanke des Hotels.
Erste urkundliche Erwähnung im Jahr 1142
Das Grimsel Hospiz wurde vor knapp hundert Jahren auf einem Felsen oberhalb der Staumauer neu aufgebaut, nachdem der Vorgängerbau im Stausee unterging. Im Jahre 1142 schon stand in der Nähe das erste urkundlich erwähnte Gasthaus der Schweiz und bot Leuten, die den Pass bewältigten, Obdach und Unterkunft auf ihrem beschwerlichen, gefährlichen Weg. Es war schon damals die gute Seele der Region und mehr als ein halbes Jahrtausend lang auch ein Ort der Geschichten und Legenden. Die Fährnisse früherer Tage, als die Männer ihr Leben auf den Saumpfaden riskierten, kann man sich leicht vorstellen beim Blick auf Schnee und schroffen Stein in dieser Weltabgeschiedenheit.
Winterliche Genussreise
Im Winter herzukommen ist heute eine schiere Genussreise; schwebend nicht nur ein Teil der Anfahrt, schwebend in der unaufdringlichen Umsorgtheit wird bald auch das Gefühl dieses Aufenthaltes sein. Einsam ist man nicht, es ist eine Auszeit mit Abstand. Blickt man von außen drauf, dann wirkt das hier wie eine Raumstation. Vielleicht ist es der Kontrast eines weltentfernten Wegseins in einer steinernen, erfrorenen Anderswelt, in der der Mensch nichts verloren hat, und dem modernen Komfort der leidenschaftlichen Alpin-Hotellerie, der dieses stille, intensive Gefühl eines unbedingten Aufgehobenseins schafft. Hier die bläulich, eisigen Schatten, dort das warme Licht, draußen karge Felsenwelt, drinnen der holzvertäfelte Arvensalon. 1932 war es das erste elektrisch beheizbare Haus Europas – schließlich machten die Leute der Kraftwerksgesellschaft (zu ihnen gehört das Hotel) hier Strom.
Umfassende Renovierung
In den Jahren 2008 bis 2010 wurde das Grimsel-Hospiz umfassend renoviert. Es ist gediegen und gemütlich, mit gehörigem Abstand vom Alltag. Eine gepflegte, ruhige Eleganz; die Zimmer sind schlicht, aber ansprechend, die Sofalandschaft lädt ein zum Sitzenbleiben und Blättern in Bildbänden oder zum Blick aus den Panoramafenstern. Einfach nur mal dasein. Man spielt gemeinsam Karten vor dem Kamin. Während der Kaffeestunde trifft man sich im Saal zu Kuchenvariationen, ein Flügel steht auf honigfarbenem Parkett und Kerzen vor den Fenstern. Über dem offenen Kamin ist eine historische Säumerszene gemalt, alte Stiche erinnern an die frühere Zeit.
Ruhe und Abgeschiedenheit
Viele der Gäste sind Wiederholer, die diese Ruhe und Abgeschiedenheit schätzen, die Reinigung und den Re-Set des Geistes suchen. Draußen sind es Bilder und Eindrücke, Emotionen, von absoluter Klarheit und Kraft. Der Schnee knirscht unter den wenigen Schritten und man hört das unheimliche Ächzen des Eises auf dem unterhalb der Anlage gelegenen See, das leise Singen des Windes in Drähten. Ein sanftes Rot im Himmel kündigt den Abend an, das Blau des vergehenden Tages wird immer dunkler und Licht beginnt aus den Fenstern zu fließen. Dunkel wird es sobald nicht; die Berge, der Schnee, glimmen noch in kalten Farben, sie leuchten nach, der Schnee schimmert magisch. Und wieviel Sterne am Firmament funkeln: die Zwillinge Castor und Pollux, der Himmelsjäger Orion mit seinen treuen Begleitern, dem Großen und dem Kleinen Hund, beides Sternbilder. So klar, wie sonst kaum. Sirius, der hellste Stern am Winterhimmel, ist aufgegangen, der Polarstern natürlich in eisiger Nacht.
Nah am Haus wabert Dunst und verhaltene Stimmen sind draußen zu hören. Ein paar Leute sitzen im Hot-Pot, dem Badebottich unter freiem Himmel, und lassen den Tag mit einem Glühwein ausklingen. Den serviert das Personal auch hier am späteren Abend noch. Oder sie begleiten die Gäste in den wohlausgestatteten Weinkeller zur Verkostung. Chef de Cuisine ist Roman Crkon, 15 Gault Millau Punkte im Restaurant Handeck, ein Höhepunkt sind sicher die 6-Gang-Genussmenüs. Deshalb gibt es Mittags auch nur eine Kleinigkeit von der Snack-Karte, einen Imbiss.
Wildes Schneegestöber und dramatische Szenen
Anderntags kämpft sich die Sonne mühsam durch wildes Schneegestöber, die Berggipfel sind von Wolken umhüllt, immer wieder reißt die Wolkendecke auf und gibt den Blick frei auf dramatische Szenen – Schatten jagen über die Hänge und Grate, dann verschwindet die Kulisse wieder im Weiß. Bis die Berge wieder auftauchen, kurz im Licht erstrahlen. Die Täler liegen mal in einem düsteren Zwielicht, mal versinken sie in eisigem Dunst. Die Gipfel leuchten vor dunklen, schneeschweren Wolken.
Sich dem Winter stellen
Das wilde Wetter flaut ab und wer sich traut, tritt hinaus auf die Terrasse. Ein paar Schritte auf das Deck und sich dann dem Winter stellen. Auch dorthin, wo Sonne und Wind die Flocken über einen langen Winter zu bizarren Skulpturen hart wie Stein und scharf wie Glas transformiert haben. Licht sickert aus perlmuttfarbenem Himmel und Wolkenfetzen wehen um die Gipfel, zart nun und wie luftig aufgebauschte Gardinen. Im Westen reißt der Himmel auf und flutet das Tal mit Licht, was für irre Farben Blau im Himmel – Kobalt, Jod und Veilchen, ganz kurz nur und sehr dramatisch. An einem Ort, der seit fast 900 Jahren auch einer ist von Aufgehobensein in einer fernen Welt, wo der Mensch nur Gast sein kann auf Zeit.
Informationen: grimselwelt.ch
Informationen zum Reiseland Schweiz: myswitzerland.com
Diese Reise wurde unterstützt von Schweiz Tourismus
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