Von Oliver Abraham
Tiefblau spannt sich der Himmel über die Gipfel der Schweizer Alpen. Der mächtige Aletsch Gletscher ist ebenso dick mit Schnee bedeckt wie die Berge ringsherum, nur vereinzelt lugt schroffer, schwarzer Fels hervor.
„Die Luft ist klar und kristallin.“
In der Ferne ist das Matterhorn zu erkennen, mit einem feinen Schleier aus Schnee. Manche Hütte hier in der Aletsch Arena ist bis zum Dach im Schnee versunken. Ski-Fahrer zischen hinab ins Tal der jungen Rhone. Wir lassen es ruhiger angehen. Wandern hinein in eine Winterlandschaft, die prickelnd ist, glitzernd und rein. Wir nehmen die Schneeschuhe dafür.
„Wer wandern kann, der kann auch mit Schneeschuhen gehen.“
Sagt Ed Kummer – ehemaliger Tourismusdirektor dieser Gegend und 83 Jahre alt, Ski-Lehrer und Tourengänger. Naturliebhaber und Naturerklärer. Er prüft die aktuellen Ansagen des Lawinenwarndienstes, rot-weiße Absperrbänder flattern vor einem allzu steilen Hang im Wind.
„…sonst kannst du hier oben auf dem Aletschplateau eigentlich gehen, wohin du willst.“
Wanderwege sind ohnehin selten zu sehen; bei zwei Metern Schnee und manchmal noch mehr. Naturverträgliche Routenempfehlungen sind zu beachten. Schneeschuhwandern ist einfach. Schön ist es, dorthin zu gehen, wo man abseits geräumter Wanderwege nicht hinkommen würde, weil der Schnee viel zu tief ist. Ruhezonen für das Wild und Gefahrenbereiche sind natürlich zu respektieren und zu meiden; der Schutz der Tiere und die eigene Sicherheit gehen immer vor. Auch deshalb ist es gut, einen erfahrenen Wanderleiter wie Ed neben sich zu wissen.
Die Schneeschuhe sind groß wie Bratpfannen, trotzdem sinken einzelne Tritte ein bis zum Knie. Sonst aber geht es wegen der großen Auftrittsfläche sehr gut im Tiefschnee. Hat man sich daran gewöhnt, lassen sich Hänge gar mit großen, rutschenden Schritten bewältigen.
„Das Schöne am Gehen mit Schneeschuhen ist, dass Du dorthin gehen kannst, wo Wanderer mit normalen Winterschuhen nicht hinkommen und Leute mit Langlaufski sind an die die Loipe gebunden“, sagt Ed, „…mit Schneeschuhen bist Du ungebunden und frei!“
Unterwegssein auf Schneeschuhen ist eine bewusste Form der Entschleunigung; das geht nicht schnell, das geht Schritt für Schritt. Mit Zeit zum Hinsehen, mit Zeit für Muße.
„Schneeschuhwandern ist Stressabbau, hier kann ich abschalten und Kraft tanken“, meint Ed, „wenn ich so unterwegs bin, geht es mir gut. Das hält gesund, und wenn Du es richtig machst, fordert es den ganzen Körper.“
Die phantastische Kulisse bilden die Viertausender der Walliser und der Berner Alpen. Dom, Matterhorn und Weisshorn kann man von Aletsch aus beinahe überall sehen, Jungfrau, Mönch und Eiger vom Eggishorn aus. Links liegt das Tal der jungen Rhone, rechts der Aletsch Gletscher, voraus in der Ferne das Matterhorn.
„Wir steigen vom Bettmerhorn ab in den Aletschwald hinunter und weiter zur Riederfurka“, erklärt Ed. Die Gipfel im 360-Grad-Panorama gehören zu den höchsten der Alpen, phantastische Ausblicke sind es und ein erhabenes Gefühl ist es, unter ihrer Aufsicht zu wandern. Ungebunden und frei, soweit Wegegebote dies zulassen.
Nach dem flutenden Licht auf der freien Fläche liegt ein düsteres Blau zwischen den Klippen, Schnee schimmert im Schatten. Es sind auch die Wechsel zwischen schön und schroff, die für Abwechslung sorgen. Ein Vortasten und ein Staunen. Auf einem schmalen Grat geht es weiter hinein in ein kleines Labyrinth, kleinere Schneewächten hängen über, Ed führt auf sicherem Weg. Gedanken um die Route muss sich deshalb niemand machen, und so ist der Kopf frei zum Genießen dieser bilderbuchschönen Winterlandschaft. Weite Flächen sind unberührt, nur Tierspuren kreuzen den Weg.
„Schau hier. Das ist die Fährte eines Schneehasen, und hier die eines Fuchses – der ist dem Hasen gefolgt.“ Ed kann die Zeichen lesen, und nach dem schnellen Gewöhnen an das Gehen mit den Schneeschuhen ist Zeit für solche Muße, ist der Kopf frei. Und Ed erklärt: „Mit ganz viel Glück kannst Du einen Schneehasen sehen, sogar Schneehühner, aber nur, wenn sie sich bewegen. Im Winter haben sie zur Tarnung ein weißes Fell.“
Birkhühner und Tannenhäher kann man am ehesten beobachten. Murmeltiere, Hirsche und Gämsen eher nicht. „Murmeltiere haben sich vergraben und halten Winterruhe, Gämsen überwintern auf der Südseite und die Hirsche sind tiefer ins Tal hinabgezogen.“ Ed erkennt Spuren eines Birkhuhnes und erklärt dann die Fährte eines Marders, die in einer Schneehöhle verschwindet.
„Wir gehen rund 400 Höhenmeter hinab“, erklärt Ed. Bald ragen Bäume aus dem Schnee, und es sieht sonderbar aus, wenn nur die Spitzen hervorlugen. Passt man nicht auf, stolpert man über Wipfel. Hauptsächlich stehen hier Arven, Zirbelkiefern also, ferner Lärchen, einzelne Tannen.
„Es ist ein zauberhafter, verwunschener Wald.“
„Hier oben wachsen die Bäume extrem langsam“, erklärt Ed, „…sie sind uralt.“ Und so knorrig und verwachsen, dass sie aussehen wie seltsame Skulpturen. Fällt Schnee von den Ästen, glitzert es im Gegenlicht wie von Abermillionen Kristallen, die wie Konfetti in der Luft schweben und leuchten.
Die Atmosphäre ist traumhaft und klar. Dort, wo die Hänge flacher werden, laufen sie aus wie in einer erstarrten sanften Brandung, wie ein endloses Fließen.
Solche Strecken und Szenen sind beruhigend, dann geht es wieder wilder weiter, wenn der Hang erneut etwas steiler wird. Mit seiner roten Jacke und dem roten Käppi ist Wanderleiter Ed immer gut zu sehen, ohnehin steht der Wald licht. Wieder kreuzen wir Spuren und wo die Schneehasen und Füchse sind, wissen nur sie selbst.
„Am ehesten kannst du auf der Südseite Gämsen beobachten“, erklärt Ed, „Du musst auf Felsen achten, die nach Süden ausgerichtet sind. Unterhalb der Hohfluo könnten wir gleich gutes Glück haben…!“
Der Schnee ist tief und pulvrig. Eine unglaubliche Stille hat die Wanderer längst erfasst, dazu das Glitzern von Schneepuder, der von Ästen rieselt – es ist eine magische Stimmung. Es sind zudem Wege in die Einsamkeit, trotzdem immer ein Gefühl der Geborgenheit, nie das des Verlorenseins. Denn eines weist auch den Weg: das ferne Matterhorn. Nun ragt es hervor zwischen den Spitzen der Arven. Der unverwechselbare Gipfel – man erkennt ihn sofort unter all den anderen – leuchtet in der späten Sonne, die Bäume sind längst nur noch Scherenschnitte in der beginnenden Dämmerung vor dem dunkelnden Abendblau.
Dann sehen wir Wegweiser, bis zum Schild in zwei Meter Höhe im Schnee versunken. Es wird Abend und der Weg führt nun zurück ins Dorf. In die Täler fließt die Nacht mit ihrem kalten, tiefen Blau. Erste Lichter, ganz unten im Tal, flammen auf. Unser Ziel heißt Riederalp, das westliche Plateau des Ski- und Feriengebietes der Aletsch Arena.
Die nun tiefstehende Sonne verleiht auch dem Schnee und seinen Verwehungen, den vom Wind gefrästen Skulpturen, Konturen – und Farbe: zuerst das Glitzern wie Diamanten auf hellblauem Samt, dann rosa, apricot, schließlich violett. Die Bergspitzen von Monte Leone und Fletschhorn auf der anderen Talseite flammen in Kupfer. Der Himmel nimmt ein immer tieferes Blau an, und schon ahnt man im Osten die Schwärze des Weltalls.
Wir nehmen nun einen in den Schnee gepflügten Wanderweg hinunter, der Schnee zu beiden Seiten ist mitunter noch meterhoch.
„Schneeschuhlaufen ist wie tanzen im Himmel.“
Ed zitiert auch die Inschrift an seinem Chalet Bergzauber:
„Lass Berge dir den Frieden bringen“.
Lichtreflexe spielen im letzten Gegenlicht und ein allerletzter Blick auf das Matterhorn, das nun rechts liegt. Dieser Gipfel sowie die Allerhöchsten fangen letztes Abendlicht ein, sie wirken wie Leuchttürme in einem Meer aus Gipfeln und Schnee in der Unendlichkeit des Raums. Immer stärker wirkt das Unterwegssein seltsam fern vom Rest der Welt. Denn die Nacht mit ihrem Schatten hat die Täler längst geschluckt. Es ist wie ein Abheben in den Weltraum, erste Sterne stehen glitzernd und prickelnd am Firmament. Doch es gibt Bodenhaftung: erste Häuser, aus deren Fenstern warmes Licht in die Winternacht fließt, die kleine Kapelle, einladend und ein Versprechen von Aufgehobensein in nun mystisch blau schimmerndem Schnee, der Geruch von Holzfeuer aus den Kaminen. Wie eine wundersame, langsame Landung nach einer magischen Tour.
Lichtreflexe spielen im letzten Gegenlicht. Ein allerletzter Blick auf das Matterhorn, das nun rechts liegt. Dieser Gipfel sowie die Allerhöchsten fangen letztes Abendlicht ein, sie wirken wie Leuchttürme in einem Meer aus Gipfeln und Schnee in der Unendlichkeit des Raums.
Immer stärker wirkt das Unterwegssein seltsam fern vom Rest der Welt. Denn die Nacht mit ihrem Schatten hat die Täler längst geschluckt. Es ist wie ein Abheben in den Weltraum, erste Sterne stehen glitzernd und prickelnd am Firmament.
Doch es gibt Bodenhaftung: erste Häuser, aus deren Fenstern warmes Licht in die Winternacht fließt, die kleine Kapelle, einladend und ein Versprechen von Aufgehobensein in nun mystisch blau schimmerndem Schnee, der Geruch von Holzfeuer aus den Kaminen. Wie eine wundersame, langsame Landung nach einer magischen Tour.
Weitere Informationen:
- Schneeschuhwandern (und andere Ausflüge) mit Ed Kummer: wandersport.ch
- Informationen zum Urlaubsgebiet Aletsch Arena (auch ausführlich zu Schnee-Schuh-Strecken) aletscharena.ch
- Informationen zum Reiseland Schweiz: myswitzerland.com
Unser Autor unternahm diese Schneeschuhwanderung vor Corona, die Reise wurde seinerzeit von Schweiz-Tourismus unterstützt. Informieren Sie sich über die aktuellen Begebenheiten.
Alle Angaben ohne Gewähr. Dieser Bericht stellt keine Wertung untereinander und / oder gegenüber anderen Unternehmen, Personen, Waren oder Dienstleistungen o.Ä. dar und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.