Von Oliver Abraham
Büsum. Einst lag es auf einer Insel, Büsum. Und das alte Büsum, das ganz alte, ist längst ein Ort der Legenden – irgendwo im Watt vor dem heutigen Nordseeheilbad soll es liegen. Verloren in Zeit und Raum, aber nicht vergessen.
Der im Watt versunkene Ort Ol Büsum
Nationalpark-Wattführer Michael Wieben führt dorthin, wo der versunkene Ort vielleicht liegen könnte – nach Ol Büsum. So nennt er eine seiner Wintertouren, und im Anschluss lädt er nach Meldorf in ein Restaurant zum Muschelessen ein. Denn neben Geschichten aus dem Dithmarscher Watt berichtet er Wissenswertes zu Muscheln, besonders zur Miesmuschel; die sieht man auf dieser Tour bisweilen haufenweise, die kann man hinterher aus der Terrine genießen.
Auch auf dieser winterlichen Wattwanderung gilt – das gemütliche Aufwärmen samt kulinarischem Ausklang rundet den Ausflug ab. Lichtfinger greifen auf das zunehmend trockenfallende Watt in der Meldorfer Bucht, verbliebene Wasserflächen gleißen auf und unterstreichen das düster Dramatische des Himmels. Diese Bucht liegt südlich von Büsum und an der Badestelle Nordermeldorf steigt die Gruppe ein. Über dem Watt und seinem gefühlt endlosen Raum liegt eine tiefe Ruhe, sie überträgt sich auf den Besucher, erst recht, wenn die Schritte den Rhythmus gefunden haben.
Über dem Watt liegt eine tiefe Ruhe
Vier Stunden unterwegs sein und Durchatmen. Atemwolken stehen den Gästen vor den Gesichtern als Wattführer Wieben Gehstöcke verteilt an diejenigen, die mögen. Die beim Seenotrettungskreuzer „Theodor Storm“ und über UKW 11 bei der Küstenfunkstelle Büsum Port angemeldete Gruppe betritt den Meeresboden. Gänse fliegen vorüber, die Schreie der Möwen unterbrechen die Stille, ein Schwarm Austernfischer fliegt auf. Überwiegend geht es auf festem Sandwatt, aber: „Wenn ihr auf schlickigen Untergrund geratet, dann bleibt nicht stehen, sondern geht ruhig weiter“, sagt Michael Wieben, „…dann zieht euch das Watt auch nicht die Stiefel aus. Und immer schön in Bewegung bleiben, dann friert ihr auch nicht.“
Rund acht Kilometer ist die Route lang. Wieben marschiert nach Nordwest, am nördlichen Horizont sind die Silos des Büsumer Hafens zu erkennen, eine Landmarke. Und das alte Büsum? „Wo genau Ol Büsum liegt, ist nicht ganz geklärt. Die Insel Alt Büsum ragte einst weit nach Süden in das Gebiet der heutigen Meldorfer Bucht, zu ihr gehörten Ortschaften wie Süddörp oder Middeldörp – sie gingen durch die schweren Sturmfluten des 14., 15. und 16. Jahrhunderts unter. Wir bewandern das Gebiet von Middeldörp, damals wohl Marschenland – vor einigen Jahren ragte hier noch Kleiboden aus dem Wattenniveau heraus“, erzählt Wattführer Wieben. Eine Kirche sogar, so berichten es Erzähler und Chronisten früherer Zeit, soll hier samt Friedhof gestanden haben.
Spuren menschlicher Besiedlung im Watt
Immer wieder schlagen die Stiefel in Gezeitenrinnen und kleine Priele, durch sie laufen Ebbe und Flut ein und aus, durchziehen das Watt und Sandbänke bilden leichte Erhöhungen. Die ganz alten Karten verzeichnen völlig andere Küstenverläufe als heute. Solche Karten zeigen oft auch manch versunkenen Ort, noch ältere Überlieferungen und Geschichten berichten erst recht davon. Phantastisches dazu – wie die Sage von den drei Fischern, die hier einst eine Meerjungfrau gesehen haben wollen; schön war sie wie keine Frau jemals zuvor. Was ist wahr, was lebte als Legende weiter? Tatsache ist: Spuren menschlicher Besiedlung allerdings wurden auch hier im Watt gefunden. Ein mysteriöser Ort, einer des Rätselhaften.
Doch es ist mehr: „Seht ihr die Vögel dahinten in dem flachen Priel? Das sind Brandgänse. Sie suchen im Watt nach Muscheln und Schnecken.“ Michael Wieben nimmt seine Grabforke und hebt Meeresboden aus, gräbt nach Herzmuscheln. Das Watt ist voller Leben auch im Winter. „Auch Herzmuscheln sind eine wichtige Nahrung für Vögel, ohnehin sind die Muschelbestände des Wattenmeeres von immenser Bedeutung. Zur Zeit des Vogelzuges rasten im Nationalpark bis zu 12 Millionen Vögel und tanken Energie, fressen sich satt für ihren Weiterflug. Und jetzt im Winter sind Muscheln lebenswichtig für die Vögel, die hier geblieben oder zum Überwintern aus der Arktis hergekommen sind.“
Wattführer Wieben zeigt auf dunkle Erhöhungen im Watt, es sind Muschelbänke. Wir folgen einem Priel und waten durch knöcheltiefes Wasser, gelangen durch den gewundenen Lauf schließlich näher an diese Bänke. „Bitte tretet nicht auf die Muscheln“, sagt er, „geht drumherum, wenn ihr euch das anschauen möchtet.“ Wir sehen riesige Mengen Miesmuscheln, Michael Wieben findet auf seinen Touren auch Herzmuschel und Rote Bohne, Pfeffermuschel und Sandklaffmuschel, Schwertmuschel und Pazifische Felsenauster, zeigt und erklärt seinen Gästen die Welt im Watt.
Strandschnecken als Putzkolonne
Rings umher liegen mehr und mehr zusammengewachsene Miesmuscheln, bald zu großen Haufen, und „…manche Muschelbänke können mehrere hundert Quadratmeter groß werden, Millionen von Miesmuscheln halten sich gemeinsam mit unglaublich starken Fäden fest. Auf einer solchen Muschelbank leben auch andere Tiere und Pflanzen – wie zum Beispiel Strandschnecken als Putzkolonne. Muschelbänke sind vielfältige Lebensgemeinschaften.“
Die Miesmuschel selbst übrigens ernährt sich von Plankton, sie filtert es aus dem reinen, sauberen Wasser der Nordsee. Muscheln zu essen heißt auch, die Essenz des Meeres zu kosten. Im Westen liegt eine schier endlose Abfolge von Wasser und Sandbänken, das Watt reicht viele Kilometer hinaus, viel weiter, als man laufen könnte. „Draußen beim Tertiussand werden aus fünf Metern Wassertiefe kleine Miesmuscheln als Saat gewonnen und auf Kulturflächen ins Sylter Wattgebiet östlich Hörnum verbracht. Dort wachsen sie innerhalb von zwei, drei Jahren zur Speisereife heran und werden geerntet“, erklärt der Wattführer, mahnt zum Aufbruch.
Unsere Zeit ist abgelaufen, wir müssen zurück, denn die Nordsee kommt. Und wie so oft scheint es, dass sie Kühle und Dunst mitbringt. Das moderne Büsum hat inzwischen der Nebel verschluckt. Und Ol Büsum? Die Sandbänke, auf denen Michael Wieben von diesem verlorenen Ort berichtete, werden nun auch wieder überflutet. Allerdings: Reste und Relikte überdauerten die Zeit, rücken Ol Büsum aus dem Reich der reinen Phantasie ein bisschen in die Realität. Wieben: „Ich habe im Watt südlich unseres Wandergebietes alte Ziegelsteine gefunden. Vielleicht von Süddörp…?“ Und alte Seekarten sowie der Chronist Neocorus (im 16. Jahrhundert) berichten von einer Kapelle dort. Alles nur Legenden? Wer weiß. Hier und heute taucht etwas anderes auf: Auf dem Rückweg findet Michael Wieben Sandklaffmuscheln; „…an der Ostküste der USA sind die eine Delikatesse. An der Nordsee hießen die auch Strandauster“, erzählt der Wattführer, „als sich Büsum nach dem ersten Weltkrieg zum wichtigsten Hafen für den Muschelhandel an der Westküste von Schleswig-Holstein entwickelte, wurden auch Sandklaffmuscheln gehandelt. Daraus wurde eine Muschelbutter gekocht – sie soll nach Leberwurst geschmeckt haben…!“
Ein letztes Mal durch einen Priel, dann geht es mit dem Auto nach Meldorf in das schöne Traditionsgasthaus „Zur Linde“. Es gibt Miesmuscheln satt nach klassisch Rheinischer Art – im Gemüse-/Weißweinsud und mit ofenwarmem Baguette. Gemütliches Beisammensein und ein schönes Aufwärmen, während draußen im Watt die Muschelbänke – die übrigens unangetastet bleiben, dort wird nicht geerntet – wieder in den Fluten versinken. So, wie Ol Büsum auch.
– Termine / Information (auch zu anderen seiner Wattwanderungen) bei Nationalpark-Wattführer Michael Wieben unter watterleben.de
– Diese Reise wurde unterstützt von Nordsee Tourismus Service. Unter nordseetourismus.de auch weitere Ideen für einen Winterurlaub an der Nordsee Schleswig Holsteins und viele Informationen zur Urlaubsregion.
Alle Angaben ohne Gewähr. Dieser Bericht stellt keine Wertung untereinander und / oder gegenüber anderen Unternehmen, Personen, Waren oder Dienstleistungen o.Ä. dar und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.