von Oliver Abraham

Dänemark, Läsö. Was ist das Kattegat eigentlich – Nordsee oder Ostsee? Etwas Eigenes, sagen sie hier. Gelegen zwischen Jütland im Norden Dänemarks und der schwedischen Westküste in Höhe Göteborgs ist diese See ein Ort des Übergangs; salziger als die Ostsee, aber nicht so sehr wie die Nordsee. Das Kattegat wird der Ostsee zu gerechnet.

Blasentang, Zuckertang und Fingertang wachsen im Kattegat

Mittendrin liegt die Insel Läsö. Auch sie ein Ort des Übergangs. Läsö nimmt an Fläche zu, wenn der Wind auf die Insel und das Meer davor drückt. Die See im Süden ist so seicht, dass dann der Meeresboden auftaucht. Ein Windwatt. Mit zwei Dezimetern nur ist der Tidenhub für ein regelgerechtes Watt fast zu gering. Es sind unscharfe Übergänge, kilometerweit unentschieden, der Wanderer ist unterwegs in einer Zwischenwelt. Der Weg führt in die Salzmarsch.

Ist das noch Land, ist das schon Meer?

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Dänemark, Läsö. Insel im Kattegat. Gelegen zwischen Jütland im Norden Dänemarks und der schwedischen Westküste in Höhe Göteborgs ist diese See ein Ort des Übergangs; salziger als die Ostsee, aber nicht so sehr wie die Nordsee. Das Kattegat wird der Ostsee zugerechnet. Mittendrin liegt die Insel Läsö. Auch sie ist ein Ort des Übergangs. Foto: Oliver Abraham

Es ist amphibisch, undefiniert. Manchmal überflutet die See diese sonderbare Gegend, dann fällt sie wieder für Wochen frei. Die Schritte schlagen ins Wasser, doch zu sehen ist das Meer noch lange nicht. Zu spüren aber in jedem Augenblick. Denn der Wind berichtet davon; mit dem See-Aroma, das in der Luft liegt, mit den Rufen der Vögel vom Meer, die vorüber wehen. Und alles nur für einen flüchtigen Moment.

Wanderung in die Salzmarsch

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Wasser steht in großen Pfützen und kleinen Teichen, düstere Tümpel müssen manchmal auf der Insel umgangen werden und Heidekraut wächst bis zum Horizont. Foto: Oliver Abraham

Wasser steht hier in großen Pfützen und kleinen Teichen, düstere Tümpel müssen umgangen werden und Heidekraut wächst bis zum Horizont. Findlinge liegen überall, das sind gefällig rund geschliffene Felsbrocken, die die Gletscher der Eiszeit hier ablegten. Fixpunkte und vermeintliche Wegmarken, auf die man nur zu gern zugeht, weil sie doch Orientierung versprechen in diesem maßlosen Raum. Auf manchem Stein steht ein krummes, vom ewigen Wind verbogenes Bäumchen, wie bizarre Bonsai sieht manch ein Arrangement aus. Sonderbare Stille hier und plötzlich schrille Schreie dort, verzerrt im Wind und es klingt, als würden die Vögel lachend locken. In diesem Ort des Übergangs, wo die Konturen verwischen, nicht nur die der Insel in flirrender Luft, sondern wo das vermeintlich Feste ins Ungefähre wechselt.

Fleisch und Fisch, Tank und Salz

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Unterwegs zu sein auf dieser weiten, wilden Insel, bedeutet auch kulinarische Entdeckungen zu machen in einer ebenso nordisch-herben wie romantischen Welt – Fleisch und Fisch, Tang und Salz. Foto: Oliver Abraham

In der nordischen Mythologie wird dieses rund hundert Quadratkilometer große Eiland als Heimat Ägirs bezeichnet. Der ist Meeresriese in der Sagenwelt. Es heißt, dass Ägir seine Gäste gern und generös bewirtete. Unterwegs zu sein auf seiner weiten, wilden Insel, bedeutet auch kulinarische Entdeckungen zu machen in einer ebenso nordisch-herben wie romantischen Welt – Fleisch und Fisch, Tang und Salz. Unterwegs in einer Welt, die wie aus der Zeit gefallen zu sein scheint und wo die Stimmung oft entrückt ist.

Läsö ist das sagenhafte Hlésey und Heimat Ägirs.

Der Sagenhafte ist allen Gästen gnädig. Und nicht nur Göttern ein guter Gastwirt. Die Lärche singt und wer hinsieht oder hinhört, wird vielleicht Kranich, Schleiereule oder Seeadler entdecken, viele Vögel mehr. Hier wachsen Pflanzen, die Fleisch fressen; Venusfliegenfallen und Sonnentau. Orchideen ebenfalls, zarte und schöne Pflanzen als Kontrapunkte in dieser harschen Welt, in der die Zeit bis zur nächsten Überflutung nur geborgt ist.

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Dänemark, Läsö. Insel im Kattegat. Licht flirrt und Wolken segeln vorüber. Salzig ist diese Welt und sonnendurchflutet, vollkommen einsam und es wirkt so, als ob sich Zeit und Raum aufgelöst hätten. Foto: Oliver Abraham

Licht flirrt über der Marsch und Wolken segeln vorüber. Salzig ist diese Welt und sonnendurchflutet, vollkommen einsam und es wirkt so, als ob sich Zeit und Raum aufgelöst hätten. Schlagen die Schritte in das Wasser, so werden die Spiegelungen zu irren Zerrbildern verworfen. Alles scheint flüchtig und unfassbar. Wacholderbüsche stehen wie einsame Wächter vor etwas, das wie ein Haus aussieht und doch nur ein Fels ist. Echt sind die Galloway-Rinder, die hier aus Gründen lebendigen Naturschutzes frei leben. Ihre gewaltigen Trittsiegel sind keine Täuschung. Und ihr Fleisch wird in den Restaurants der Insel serviert. Ganz praktisch dieser Naturschutz und köstlich dazu.

Salz wird hier seit Jahrtausenden gewonnen

Es geht zurück zur Insel, am Ufer steht Rauch über alten Katen. Tausend Jahre lang gewannen die Leute von Läsö Salz, und so sehen die hölzernen Hallen und Hütten auch aus. Salzsiederei ist ein archaischer Prozess, eine alte Tradition. Hier wird aus der unter der Marsch vorkommenden Sole ein Speisesalz gewonnen.

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Seit Jahrtausenden wird hier Salz gewonnen. Foto: Oliver Abraham

Warmer Dunst wabert durch die Halle, die Menschen sind nur als Schemen zu erkennen. Wie seltsame Gespenster sehen sie aus mit ihren Rechen an den großen, eisernen Pfannen. Nicht nur das Wasser des verdampften Meeres steigt auf, sondern auch ein intensiver Geruch nach der See und ein sanfter nach Jod, vermengt mit dem kühlen Luftzug von draußen und dem Holzrauch ein sonderbarer, aber angenehmer Duft.

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Salzsiederei ist ein archaischer Prozess, eine alte Tradition.Foto: Oliver Abraham

Salzsiederei ist ein archaischer Prozess, eine alte Tradition.

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Typische Spurenstoffe aus dem Meer, das ist das Konzentrat der See für die Küche. Foto: Oliver Abraham

Die Arbeit an den Pfannen geschieht in vollkommener Ruhe, so, wie seit Tausend Jahren schon, Licht fällt durch die Bretter auf die Szene wie ein Theaterspot. Das Meersalz fällt aus der immer stärker konzentrierten Sole aus. Dies ist das allerfeinste und das gesuchte Salz. Vorsichtig schöpfen und rechen die Leute das Salz aus der Sole. Beim Probieren prickeln die feinen Kristalle auf der Zunge und knuspern zwischen den Zähnen. Es enthält noch typische Spurenstoffe aus dem Meer, ist das Konzentrat der See für die Küche.

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Dänemark, Läsö. Insel im Kattegat. Gelegen zwischen Jütland im Norden Dänemarks und der schwedischen Westküste in Höhe Göteborgs ist diese See ein Ort des Übergangs; salziger als die Ostsee, aber nicht so sehr wie die Nordsee. Das Kattegat wird der Ostsee zugerechnet. Mittendrin liegt die Insel Läsö. Auch sie ist ein Ort des Übergangs. Foto: Oliver Abraham

Hummerbuden ducken sich zwischen die Dünen an der Nordküste, einst schufteten hier Fischer. Heute arbeitet hier Rie Toftelund Ladefoged. Sie geht einen engen Pfad hinunter an den einsamen Strand, Reet raschelt im Wind.

Läsö, Dänemark: Rie Toftelund Ladefoged ist auf dem Weg ins Meer, sie will Tank ernten. Foto: Oliver Abraham
Rie Toftelund Ladefoged ist auf dem Weg ins Meer, will Tang ernten. Foto: Oliver Abraham

Dann geht Rie ins Meer. Das Wasser ist klar, Lichtreflexe glitzern auf den Wellen, auf dem Meeresboden liegen Findlinge. Rie geht zu einem dieser großen Steine und Seehunde schauen aus sicherer Distanz zu. Sie erntet Tang und im Schlepp hat sie einen Plastikkasten, der auf den Wellen wippt. Blasentang, Zuckertang, Fingertang wächst im Kattegat, hundert Sorten mehr.Sachte wiegen sich diese Pflanzen in der Strömung, mit den Wellen.

Tang sieht sonderbar aus – mal wie die Finger an einer Hand oder wie Blasen aufgereiht wie an einer Schnur, mal groß wie ein Blatt Papier oder fein verästelt wie Korallen. Mancher schmeckt süß wie Zucker, anderer scharf wie Pfeffer.

Rie greift in die Strömung und zieht einen Strang mit Blättern hoch, Wasser tropft, sie schneidet ab, was sie braucht. Das Stück da vorn, das sieht doch gut aus. Aber sie muss umkehren, zu tief ist das Wasser selbst für ihre Anglerhose, für heute ist genug geerntet. Es soll immer alles frisch sein, denn sie verarbeitet Tang für die Küche. Und sonderbar wie Tang ist, haben manche Sorten eine merkwürdige Eigenschaft – sie verstärken den Geschmack anderer Speisen.

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Man kann das also essen? Aber ja, selbstverständlich, Rie ist Expertin auf dem Gebiet, Tang ihr Steckenpferd. Foto: Oliver Abraham

Am Strand sortiert Rie ihre Ernte. Dann fährt sie zu ihrer Manufaktur nach Byrum (laesoetang.dk). Man kann das also essen? In der asiatischen Küche ist Tang eine reguläre Zutat, aber auch im Norden Europas war Tang einst Ergänzung auf dem Speiseplan. Eine alte Frau auf Grönland, erzählt Rie, habe ihr einst davon berichtet. Vermutlich ging das Wissen darum in der Zeit verloren. Zu schade fand sie, schließlich komme Tang hier reichlich vor und enthalte viele Spurenstoffe. Schmecken tut er und es lässt sich so viel damit anstellen.

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Was darf es denn sein: Aus Tang kann man vielerlei zaubern, von Pesto bis Marmelade, vom krossen Imbiss bis zum feinen Salat. Foto: Oliver Abraham

Also begann Rie damit, im Kattegat nach Tang zu suchen, sie bat Fischer, ihr etwas mitzubringen, Rie begann zu probieren, zu experimentieren. Das Meer ist sehr sauber, die Vielfalt – geschmacklich wie ästhetisch – üppig. Sie wäscht ihre Ente mit Seewasser, schneidet zu und hängt sie dann neben ihrem Laden zum Trocknen auf. Sie reicht Chips zum Probieren, dieser krosse Imbiss wird in Sesamöl ausgebacken und mit Sesam bestreut. Aus Fingertang macht sie eine Art Miso-Suppe, aus Zuckertang Marmeladen, aus Blasentang mit Mandeln, Zitrone und Petersilie ein Pesto. Es ist später Abend und die Kutter kommen vom Kattegat zurück, still liegt Österby Havn, der Fischereihafen von Läsö. Gleich jedoch wird es betriebsam sein.

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Rie Toftelund Ladefoged, ihr kleiner Laden auf Läsö ist eine wunderbare Mischung aus Museum und kulinarischer Manufaktur. Foto: Oliver Abraham

Richtig dunkel scheint es im Sommer auch nachts nicht zu werden, der Himmel über dem Meer hat die Farbe von Flieder, die See darunter ist in Nuancen dunkler. Es ist eine weltenferne Stimmung und wieder das Gefühl, dass Zeit und Raum sich aufgelöst haben. Das Geschrei der Möwen kündigt die Kutter an. Die Fischer bringen etwas mit, das hier auf der Insel Jomfruhummer heißt, in Deutschland Kaisergranat und anderswo in Europa Scampi. Wo aber schmecken sie so gut wie hier am Hafen, auf der Insel Ägirs, des Gastlichen.

  • Diese Reise wurde unterstützt vom Dänemarks Tourismuszentrale Visit Denmark (visitdenmark.de). Informationen zu Läsö: visitlaesoe.de – Alle Angaben ohne Gewähr. Dieser Bericht stellt keine Wertung untereinander und / oder gegenüber anderen Unternehmen, Personen, Waren oder Dienstleistungen o.Ä. dar und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit

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