Von Oliver Abraham
Bestwig (NRW). In der Felswand unter einer Buche ist der Eingang zur Unterwelt. Der Schlund im grauen Fels wird zunehmend enger. Duft und Wärme vom Wald weichen einer Kühle und dem Geruch nach nassem Stein. Es scheint, als wehe dem Besucher ein kalter Hauch entgegen.
Sagen, Mythen und ein Whisky-Geheimnis rund um die Veleda-Höhle im Sauerland
Über Treppen und Stege geht es hinunter. Plattform und Geländer sichern den Weg, ohne sie gäbe es kein sicheres Vorwärtskommen. Die Schritte klingen nun dumpf und bald hallen die Stimmen in einem großen, hohen Gewölbe im Fels. Wasser tropft, man sieht, hört und spürt das, ganz kleine Stalaktiten, also Tropfsteine, hängen an der Decke. Gelber Sinter, Stein wie im Fluss erstarrt, auf schierem Fels.
Die Magie der Veleda-Höhle
Mysteriöse Gebilde, diese Höhle hat Magie. Und zum Schluss Genuss; denn das hier ist außergewöhnlich. Zunächst jedoch Geschichte und Geologie. Die Veleda-Höhle liegt nahe der Gemeinde Bestwig (NRW). Höhlen und Stollen gibt es im Sauerland viele und sehr schöne – diese gilt als eines der ältesten Kultur- und Naturdenkmäler des Sauerlandes.
Veleda-Höhle NRW: Historische Bedeutung und geologische Besonderheiten
„Der römische Geschichtsschreiber Tacitus berichtet von einer Frau aus dem Stamme der Brukterer, die zur Zeit des Kaisers Vespasian zwischen Lippe und Ems lebten“, berichtet Michael Stratmann von der Dorfgemeinschaft Velmede-Bestwig, „sie hieß Veleda und hatte großen politischen Einfluss auf die freien germanischen Stämme. Veleda galt als Seherin, und sie sagte die Vernichtung eines römischen Heeres im Jahr 69 / 70 n.Chr. voraus, den Aufstand der Bataver gegen die römische Besatzung und den Sieg dieses Germanenstammes.“
Römer nahmen die Seherin gefangen
Ihren Wohnsitz soll die Seherin, eine „hochgewachsene Jungfrau“, der Sage nach in einem Turm am Fluss Lippe gehabt haben, das läge allerdings weiter nördlich. „Dort wurden ihr Fragen gestellt, die sie durch einen Vertrauten oder Verwandten beantwortete. Als die Römer schließlich Germanien eroberten, nahmen sie Veleda gefangen und brachten sie nach Rom, dort soll sie auch für den Kaiser als Ratgeberin tätig gewesen sein“, berichtet Michael Stratmann von der Sage, „Veleda starb im Jahr 77 als integre und geachtete Person nahe Rom und tatsächlich wurde im Ort Ardea eine Marmortafel gefunden, die als letztes Lebenszeichen Veledas gilt.“ In den Sagen und Legenden blieb Veleda lebendig, sie soll in der Höhle vermutlich zeitweilig gelebt haben.
Ein Kultort der germanischen Stämme?
Aber stimmt das, war Veleda wirklich in dieser Höhle? Saß sie hier auf diesem Stein und sagte die Zukunft voraus? „Ob oder welcher geschichtliche Zusammenhang zwischen dieser Höhle und der Person Veleda besteht, lässt sich nicht eindeutig nachweisen“, so Stratmann, „immerhin ist es nicht auszuschließen, dass die Marser, ein befreundeter germanischer Stamm, diese Höhle als Wohn- oder auch als Kultort nutzten – denn bis zur Christianisierung durch die ersten Missionare im achten Jahrhundert lebten sie zwischen Ruhr und Lippe.“ Ob Veleda also hier war? Sicher ist es nicht, auszuschließen aber auch nicht…
Die Geschichte der Veleda-Höhle
Eine besondere Bedeutung, eine Relevanz in früher Geschichte, hat dieser Ort aber doch: Im Jahr 776 wurde die Christianisierung durchgesetzt und in Velmede, dem am nächsten gelegenen Ort, eine der Ur-Pfarreien des Sauerlandes gegründet. „Da Velmede keine besondere geographische Lage hatte, geht die Geschichtsschreibung davon aus, dass, wie bei allen Ur-Pfarreien im Sauerland, ein bedeutender heidnischer Kultplatz an diesem Ort war – die Veleda-Höhle wird als Kultstätte schon früh erwähnt. Die ersten Kirchen wurden in der Nähe dieser Kultstätten erbaut, um die Menschen zu einem neuen Glauben zu bewegen.“ (Stratmann)
Geologische Highlights der Veleda-Höhle: Tropfsteine und Sinterbecken
Funde aus der Höhle stammen überwiegend aus der vor-römischen Eisenzeit; Tonscherben, Teile von Schmuck, Reste von Handwerkszeug. Und: „In der Veleda-Höhle wurden auch Knochen von mindestens 32 Menschen gefunden – auch viele Schädelknochen von Kindern“, berichtet Michael Stratmann. Welch ein Stoff für Legende und Phantasie. Bis in die 1980er-Jahre wurden die Knochen auch als Reste von Menschenopfern gedeutet.
Spekulationen über kultischen Kannibalismus
Als Relikte von Opfergaben an unterirdische Mächte, bis hin zu kultischem Kannibalismus wurde spekuliert. „Die Knochenfunde werden heute sehr viel zurückhaltender betrachtet“, so Stratmann, „man deutet sie als eine Form der Sekundärbestattung, bei der Verstorbene oder einzelne Knochen exhumiert worden sind, um sie in der Höhle erneut zu beerdigen.“ Die Volkskunde kennt Bräuche aus der vorchristlichen Zeit, die bis ins frühe 20. Jahrhundert ausgeführt wurden – Prozessionen zu Ostern beispielsweise oder Orakel zur Fruchtbarkeit des Erntejahres. Dieser Kult lebt heute allerdings nicht mehr weiter.
Hier wachsen nur wenige Tropfsteine
Es wachsen nur wenige Tropfsteine in der Veleda-Höhle und sie sind klein, in der unteren Halle aber hängt einer, der mehr als drei Meter lang ist und zwei Meter im Durchmesser, darunter ein großes Sinterbecken, so groß, dass ein Erwachsener hineinsteigen könnte. „Vor einigen Jahren wurde in der Nähe eine zweite Höhle entdeckt“, berichtet Michael Stratmann, „der Bergrücken, in dem die Veleda-Höhle liegt, wird auch Hohler Stein genannt.“
Im Prinzip besteht die Veleda-Höhle aus einer zweigeteilten Halle; die obere ist rund zwölf Meter hoch und zehn Meter breit, über eine zwölf Meter lange Leiter steigt man in die untere Halle. Beide zusammen sind rund achtzig Meter lang und fallen unter 35 Grad Neigung in den Berg hinab. „Nach einer Neuvermessung können wir davon ausgehen, dass alle Gänge der Veleda-Höhle zusammen 320 Meter betragen“, sagt Michael Stratmann.
Mysterien der Vergangenheit
Intensive Grabungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben Zeugen der Vergangenheit hervorgebracht. Es sind Puzzlestücke, um die Mysterien der Vergangenheit zu enträtseln. „Professor Carthaus fand Stellen von Lagerfeuern, Holz- und Knochenreste, Tonscherben, einen Armreif mit Perlen und eine kleine Kette. Auch wir Höhlenführer haben viele Knochen gefunden. Sie sind aber ausschließlich von Tieren der letzten Jahrhunderte.“, berichtet Michael Stratmann und blickt in die Dunkelheit der zweiten, der tiefen Kammer, „…und da ganz unten, dort ist noch längst nicht alles erforscht.“
Wer hier was hinterlassen hat, bleibt bisweilen rätselhaft. Löcher im Fels starren den Besucher wie Augen an. Sicher ist, dass hier noch manche Geheimnisse verborgen sind. In einem Nebengang erkennen wir seltsame Riefen im Fels, die kaum natürlichen Ursprungs sein können. Stratmann: „Sie deuten auf die Bewohner von vor mehr als 2500 Jahren hin, die Ritzzeichnungen und Ornamente im Gestein hinterlassen haben. 1945 sind zum letzten Mal Menschen in die Höhle eingezogen. Sie suchten Schutz vor den Bomben, die Engländer und Amerikaner abwarfen.“
Whisky-Reifung in der Veleda-Höhle: Einzigartiger Sauerland-Genuss
Die Geschichte der Höhle aber geht noch weiter: Abrunden tut sie jemand aus der Nachbarschaft – Bäcker- und Konditormeister Jörg Liese (55) aus Bestwig trägt ein mit jungem Whisky gefülltes 50-Liter-Fass in die Veleda-Höhle, rollen kann er es kaum; zu eng, zu uneben, dann kommen schon die Treppen. Ein Jahr lang noch soll der Whisky, ein Single Malt, in dieser Höhle reifen und damit sein Finish bekommen, insgesamt 150 Liter sind es in der Regel, die in dieser Höhle liegen. Dann ist dieses Destillat aus Gerstenmaische fünf Jahre alt „ … und vereint fruchtige Aromen mit denen von Vanille und Honig.“ Sagt Jörg Liese und lässt später, unten im Stollen, am Glase riechen.
Ein Höhlen-Whisky mit besonderem Aroma
Liese backt nicht nur Brot, fertigt nicht nur Feingebäck, er ist seit einigen Jahren auch in Sachen Whisky unterwegs. Bier ist im Grunde flüssiger, vergorener Brotteig und Whisky im Prinzip destilliertes Bier. Das könne man mal konsequent abarbeiten, dachte sich Liese, der ohne bling-bling kreativ ist, mit Geschmäckern und Aromen ziemlich gut umgehen kann – Liese ließ einen Brand brennen. „Weil wir hier im Sauerland so viele Höhlen haben, bot sich die mystische Höhle in unserer Nachbarschaft an“, so Liese, „der Whisky mit dem Namen der germanischen Seherin sollte aber auch so schmecken, wie man sich einen verzauberten Höhlentrunk vorstellt – fruchtig, würzig, fein.“
„Glück Auf Whisky“ lagert im Besucherbergwerk Ramsbeck
Nicht nur in dieser Höhle reifen Produkte aus Lieses Destillat-Sortiment, sondern auch in einem Nebenstollen des Sauerländer Besucherbergwerks Ramsbeck, dort neben Whisky auch Gin und Rum. Zurück zur Veleda-Höhle: „Der Veleda-Whisky stammt aus westfälischer Gerste und wurde in den nördlichen Ausläufern des Sauerlandes gebrannt“, berichtet Jörg Liese, „zunächst reifte das Destillat für zwei Jahre in gebrauchten Bourbon-Fässern, dann in Fässern, die zuvor mit italienischem Rotwein, Portwein oder Sherry gefüllt waren.“ Während der Lagerung in solchen Fässern gelangen die Aromen dessen, was zuvor drin war, in den reifenden Whisky. Damit kann man spielen, kombinieren, dem Whisky eine Richtung geben.
Perfekte Bedingungen für ein besonderes Aroma
Wer Liese mit seinen Whisky-Fässern auf dem Weg in die Veleda-Höhle begleitet, wird andere, zusätzliche Sinneseindrücke erfahren als bei einem normalen Besuch. Zunächst riecht es im Eingang der Veleda-Höhle noch nach Wald, nach Waldboden und Humus, bald nach nassem Fels.
Es riecht nach Alkohol und Kuchen
Dort aber, wo Liese das Fass die Treppe tiefer in die Höhle hinunter wuchtet, riecht es nach Alkohol und Kuchen. Dieses Fass, das dritte in der Karriere des Veleda-Whisky, ist ein frisch entleertes Sherry-Fass, durch die Poren entweichen ein wenig Alkohol und eben dieser schwache, kaum wahrnehmbare Duft. Das Spiel von Holz und Destillat, die Interaktion von Inhalt und Umgebung – Temperatur und Luftfeuchte – ist Sinn und Zweck dieser Schwerarbeit, ein Fass Whisky über Stiegen und Stege in die Höhle zu wuchten.
Aromen aus Sherry runden den Whisky ab
„In dieser Höhle herrschen eine Luftfeuchte von nahezu hundert Prozent und eine Durchschnittstemperatur von acht bis zehn Grad“, berichtet Jörg Liese als er das Fass in einen Nebengang gerollt hat, „das sind Bedingungen, die Sie über Tage kaum hinbekommen – die sind für meine Zwecke, diesem Whisky gewisse Aromen zu verleihen und ihn auszubauen, ideal. Dadurch quillt das Holz ein wenig auf und öffnet die Poren, so gelangen Aromen wie die vom Sherry aus dem Holz in den reifenden Whisky und runden ihn ab.“ Die Lichter von Stirnlampe und Taschenlampe huschen über den Fels; hier glitzert es, dort leuchten die erdigen Farben – dunkles Grau des Gesteins, karamellfarbener Sinter, elfenbeinfarbene Mini-Tropfsteine.
Mystische Magie in der Veleda-Höhle
Es ist magisch, und – hört man Jörg Liese und Michael Stratmann zu – zunehmend mysteriös. Die geologischen Geheimnisse dieser Höhle sind weitgehend gelüftet, die der Geschichte noch längst nicht. Jörg Liese öffnet einen Stopfen im Fass, riecht am reifenden Whisky. Fruchtig riecht das. Schmecken tue der Whisky, berichtet Liese, ausgesprochen weich und mit Noten nach Vanille, Karamell und Honig, „…das hier ist Geschichte und Genuss.“ Und bisweilen ziemlich geheimnisvoll.
Information:
Informationen zu einem Höhlenbesuch unter: www.veleda-hoehle.de
Von Mai bis Ende September werden Führungen angeboten. Im Winter gehört die Höhle den Fledermäusen. An jedem letzten Sonntag im Monat gibt es öffentliche Führungen ohne Anmeldung in der Zeit von 14 bis 17 Uhr. Für Kleingruppen werden nach Wunsch gesonderte Termine abgesprochen. Die Kosten betragen 4,- € für Erwachsene und 2,- € für Kinder von 8 bis 14 Jahren. [email protected] oder persönlich bei Michael Stratmann, Telefon 0 29 04 – 10 88
– Informationen zur Urlaubsregion Sauerland: www.sauerland.com
– Backhaus – Café Liese, Bestwig / NRW, www.stollenspezialist.de
Diese Reise wurde unterstützt von Sauerland Tourismus.
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