Von Oliver Abraham
Drachselsried/Landkreis Regen. Auerhuhn Bayerischer Wald – eine Wanderung. Seltsam ist das schon: Eine schöne und behütende Waldeinsamkeit, licht und offen, mit weitem Blick über die Berge des Bayerischen Waldes. Eine Aufgehobenheit – und dann diese Vogelrufe. Vermutete Vogelstimmen zumindest; sie klingen wie ein Lachen. Der Wanderweg führt von der Berghütte Schareben hinauf zum Berg Heugstatt, einem aus der Kette von zwölf Eintausendern. Es ist einsam; es ist weit, wild und wanderbar.

Waldeinsamkeit und Vogelrufe: Der Herbst im Bayerischen Wald
Zu hören ist das leise Gezirpe von Insekten und der sanfte Zug des Windes im Laub der Bäume. Es riecht nach Harz und Waldboden. Muntere Vogelstimmen wehen ebenso vorüber wie die fernen Pfiffe eines Vogels hoch am Himmel. Der Wald öffnet sich zu mehr freien Flächen. Es ist ein Spiel von Licht und Schatten, goldgelbe Gräser flirren im Licht und Wind, die Schatten der Wolken ziehen übers weite Land. Es ist Herbst geworden, die Beeren an den Sträuchern leuchten satt, das Laub hat Farbe bekommen. Da! Da war es wieder. Dieser seltsame Vogelruf. Wie ein Gackern klingt es jetzt. Schon merkwürdig. Was mag das, wer könnte das sein? Vielleicht diese? Hier gibt es seltene Auerhühner.




Das Auerhuhn im Fokus: Bayernweite Bestandsaufnahme
Bis Ende Oktober werden bayernweit die Bestände des Auerhuhns erfasst. Das Ziel ist es, zu ermitteln, wie sich der Bestand dieses „größten Huhns Europas“ entwickelt – und um gegebenenfalls Veränderungen in ihrer Zahl sowie ihrer Lebensräume zu erkennen.
Das Auerhuhn lebt in lichten Nadelmischwäldern mit abwechslungsreicher Struktur in manchen deutschen Mittelgebirgen wie beispielsweise dem Schwarzwald, dem Thüringer Schiefergebirge, dem Bayerischen Wald natürlich und den Alpen Bayerns. Weil es sensibel auf Veränderungen im Waldökosystem reagiere, gelte es als Indikator für die ökologische Qualität großer und naturnaher Wälder, heißt es seitens der Bayerischen Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF). Diese Inventur findet alle drei Jahre statt. Dabei werden zum Beispiel Losung und Federfunde dokumentiert und – wenn die Forschenden das Glück haben, einen zu sehen – natürlich auch die Sichtung eines Auerhuhns.

Lebensraum und Schutz: Der Charaktervogel der bayerischen Bergwälder
In Bayern lebt der größte Teil des deutschen Bestandes dieser Rote-Liste-Art; das Auerhuhn ist der Charaktervogel der bayerischen Bergwälder. Sie kommen von Schottland und Skandinavien bis Sibirien vor, doch in Mitteleuropa ist ihr Lebensraum auf die großen Nadelmischwälder der Berge sowie der Moorwälder beschränkt und deshalb stark zersplittert – die verbliebenen Bestände im Freistaat, so heißt es bei der LWF weiter, verteilen sich auf den Bayerischen Wald und die Alpen sowie auf eine Restpopulation im Fichtelgebirge; Einzelnachweise seien zudem aus dem Nürnberger Reichswald bekannt.
Ganz wichtig: Ohne Störung soll der Wald sein; wenn sich das Auerhuhn wohlfühlen soll, braucht es vor allem viel Ruhe. Auch deshalb gibt es für Wanderer und Ski-Tourengänger, für Radfahrer und Schneeschuhwanderer (und für alle anderen auch) eine Besucherlenkung im Wald.

Was für schöne Wanderwege, und es ist noch mehr. Schilder weisen den Weg hinauf zum Gipfel des Berges Heugstatt, weiter zum Gipfel des Enzian, noch weiter zum Großen Arber. Und Schilder weisen auch darauf hin, dass dies der Lebensraum des Auerhuhns ist. Dieser große Charaktervogel der bayerischen Berge, er lebt hier. Irgendwo in dieser schönen Waldeinsamkeit.
Den lichten, großen Wald, diese Abwechslung im Waldbild, das liebt er, das braucht der Vogel. Heidelbeersträucher am Boden und große, alte Fichten, so soll es sein. Ganz viel Platz und große strukturreiche Wälder, dann kann er überleben. Und da! Da war schon wieder was, welch seltsame Geräusche trägt der Wind doch vorbei. Ob’s ein Auerhuhn war? Wer weiß, möglich aber wäre es. Ihn tatsächlich zu sehen – es wäre ein riesengroßes Glück.

Erfolge im Artenschutz: Der Auerhuhnbestand im Grenzgebirge wächst
Wie viele dieser großen Vögel gibt es überhaupt noch? Werden es vielleicht wieder mehr dieser beeindruckenden Tiere? Wie gut also funktionieren Schutzmaßnahmen? All dies und manches mehr soll die Spurensuche im Wald klären. Denn wenn es dem Auerhuhn gut geht, wenn man seinen Lebensraum und seine Bedürfnisse fördert, profitieren auch andere Arten davon – Stichwort „Schirmart“: Wer hier ansetzt, kann viel mehr erreichen als Auerhuhnschutz allein. Maßnahmen zu seinem Schutz, so das LWF weiter, kämen daher auch einer Vielzahl anderer montaner Arten wie beispielsweise dem Dreizehenspecht, Raufußkauz oder der Ringdrossel zugute – somit habe das Auerhuhn als Leitart einen sehr hohen Stellenwert für den Naturschutz.

Und es klappt: Mehr als 860 Auerhühner gibt es im bayerisch-böhmischen Grenzgebirge wieder – eine sehr gute Zahl. Als die Ergebnisse der vorherigen Untersuchung (die der Jahre ’22 und ’23) ausgewertet wurden, gab es im Bayerischen Wald und dem angrenzenden Böhmerwald auf tschechischer Seite eine positive Überraschung: Der Bestand des Auerhuhns im bayerisch-böhmischen Grenzgebirge ist deutlich angewachsen, heißt es seitens der Verwaltung des Nationalparks Bayerischer Wald.
Und zwar so weit, dass die zum natürlichen Erhalt der Population für notwendig erachtete Zahl von 500 Tieren deutlich überschritten sei. Die Vögel haben inzwischen nicht nur einen genügend großen, einen passenden Lebensraum – auch die Flächen, auf denen sich der Wald frei entwickeln könne, habe sich deutlich vergrößert –, sondern es gibt nun auch wieder genug Auerhühner, damit sie sich vermehren können.
Altes Kulturland und heutiger Lebensraum: Schachten und lichte Wälder
Ohnehin: Hier oben am Heugstatt ist es auch altes Kulturland. Die Täler waren eng und der Boden oft nicht genug, um Bauern mit ihrem Vieh das Überleben zu sichern. Um den inneren Bayerischen Wald überhaupt zu besiedeln, wurden sie mit Weiderechten auf den Berg gelockt. Dort auf den Schachten – immerhin – da hatten sie etwas. Durften Weiden schaffen und Holz nutzen – so wurden Flächen frei, und diese ehemaligen Waldweiden scheinen in ihrer offenen und vielfältigen, also dem Auerhuhn förderlichen Struktur, noch heute existent.

Schon im vorvergangenen Jahrhundert war die Beweidung dieser Hochlagen rückläufig; nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde sie wegen moderner Formen der Landwirtschaft mit Düngung und Maschinen aufgegeben. Lichte Nadelwälder mit den mächtigen Altbäumen und eben einer Krautschicht aus Heidelbeeren, zudem in abgeschiedener Lage, ist der Lebensraum für Auerhühner schlechthin. Natürlich stehen solche Gebiete, und auch dieses, längst unter (grenzübergreifendem) Schutz – sei es als Nationalpark wie anderswo im Bayerischen Wald oder in anderen Kategorien so wie hier. Nur wenn sie erhalten bleiben und Wanderer auf den Wegen, kann das Auerhuhn langfristig überleben. Die Voraussetzungen dafür hat es hier.
Besucherlenkung als Schutzmaßnahme: Ruhe für das Auerhuhn
Die Gesundung des Bestandes zeige auch, wie wichtig eine Besucherlenkung sei. Das Auerhuhn brauche in seinem Lebensraum mehr als Schlaf- und Nahrungsbaum, mehr als einen Huderplatz am Wurzelteller (dort baden sie im Sand und/oder behüten ihre Jungen) und den lichten Bereich zur Aufzucht der Küken – es braucht Ruhe und Rücksichtnahme.

Selbst wenn der Lebensraum noch so hochwertig sei, werde er bei intensiver touristischer Nutzung gemieden, heißt es seitens der Nationalparkverwaltung, und der ohnehin knappe Lebensraum weiter eingeschränkt. Es sei daher von größter Bedeutung, dass in bestimmten Gebieten nur markierte Wege benutzt werden. So habe man bereits festgestellt, dass sich der größte Teil des Auerhuhn-Bestandes an Orten konzentriere, an denen der Besucherverkehr ganz eingeschränkt oder gezielt auf markierten Wegen gelenkt werde, heißt es seitens der Nationalparkverwaltung weiter – und umgekehrt: an denen der Besucherverkehr nicht gezielt geregelt sei, gäbe es weniger Auerhühner.
Ausblick am Enzian: Weite Horizonte im Auerhuhnland
Höher hinauf und der Blick reicht weit jetzt: rüber ins Nachbarland Tschechien, wo sich über den Bergen des Böhmerwaldes mächtige Wolkentürme aufbauen, der Blick reicht über Berge, über Wald, Wald und nochmals Wald. Hin und wieder ein Dorf darin. Nun stehen hier mächtige Fichten, ehrwürdige Baumveteranen, es ist kein dunkler Forst, sondern wirkt vielmehr wie eine verwunschene Parklandschaft, ein Märchenwald. Der Weg führt hindurch und auf eine Hochebene, Schmetterlinge tanzen im Licht, Beerengestrüpp am Boden, immer wieder offenes Wasser, einzelne alte Bäume in der Ebene. Auerhuhnland, Auerwildschutzgebiet.

Auf den Steinen sonnt sich eine Eidechse. Im Unterholz zwischen den Bäumen knackt es; die Wärme dieses Herbsttages steht über der Ebene, das Zirpen der Insekten wie pulsierend. Aus dem Wald wird eine lichte Buschlandschaft aus Birken, Buchen und Vogelbeere. Es wirkt wie Tundra – wilder, immer wieder offenes Gestein, mehr Klippen.
Der Wind nimmt zu, die Schatten der Wolken jagen jetzt über die Flanken der Berge, der Wind wispert lauter in den Blättern. Nach der Heugstatt (1.262 Meter) ist der Berg Enzian erreicht – Rast auf gut zwanzig Meter mehr Höhe, auf schierem Fels im Schatten des Gipfelkreuzes. Und der Blick reicht weit; über die Berge im Grenzgebirge und über einen Wald, der zu den größten in Europa zählt. Der Blick reicht auch über weite offene Flächen, dorthin, wo das Auerhuhn lebt. Irgendwo. Es zu sehen wäre ein riesengroßes Glück, zu wissen dass sie da sind, ist schön und schon genug.
Informationen zum Bayerischen Wald und Auerhuhn-Schutz:
- Nationalpark Bayerischer Wald: www.nationalpark-bayerischer-wald.bayern.de
- Ferienregion Bayerischer Wald: www.bayerischer-wald.de
- Zur beschriebenen Region (Arberland): www.arberland-bayerischer-wald.de
- Berghütte Schareben, bei Drachselsried: www.berghuette-schareben.de
Alle Angaben ohne Gewähr. Dieser Bericht stellt keine Wertung untereinander und/oder gegenüber anderen Unternehmen, Personen, Waren oder Dienstleistungen o.Ä. dar und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.















