von Mario Vedder
Portimao, Portugal. Ich werde oft gefragt, warum ich immer wieder nach Portimao fahre. Die Stadt im Südwesten Portugals sei doch nicht sonderlich attraktiv, ohne jeglichen Charme, dreckig und am westlichen Rand zugebaut mit scheußlichen Hochhäusern, gräßlichen Betonklötzen und Hotelbunkern für Pauschaltouristen. Ja, das stimmt. Portimao ist so ganz und gar nicht der portugiesische Sehnsuchtsort mit blau gekachelten und weiß getünchten Häuschen, mit kleinen Strandbuchten unter blauem Himmel vor der Hoteltür.
Großer Hafen von Portimao in Portugal und ganz normale Menschen
Portimao in Portugal ist eine ganz normale mittelgroße portugiesische Stadt, mit einem großen Hafen und ganz normalen Menschen. Rund 46.000 von ihnen leben hier. Auch das gibt es an der Algarve. Die Häuser in der Innenstadt blühen in ihrem liebevollen Zerfall auf, in den kleinen Gassen paart sich die so wunderbare portugiesische Schwermut mit der alltäglichen Freude am liebenswerten Leben unter häufig schweren Bedingungen.
„Man ist zufrieden mit dem was man hat.“
Das Leben an der Algarve ist ausserhalb des Tourismus oft von Entbehrungen geprägt, von harter Arbeit als Fischer, als Landwirt, als Hafenarbeiter, als Bauarbeiter. All das atmet man in den Gassen, auf den Plätzen, im Hafen Portimaos. Hier ist Portugal authentisch, hier fühle ich mich wohl. Natürlich ist Portimao auch touristisches Zentrum, ist umgeben von Stränden und hat in Praia da Rocha einen wunderschönen kleinen Yachthafen.
An diesen Ort zieht es mich immer wieder, auch weil es hier ein wunderbares Appartement Hotel direkt am Yachthafen gibt, und weil es mit der „Senhora da Rocha“ am langen Strand ein herrliches portugiesisches Restaurant mit einer fantastischen Gastgeberin gibt, die uns Jahr für Jahr als Freunde empfängt, uns aufnimmt in ihr portugiesischen Leben und nebenbei in ihrem kleinen Strandrestaurant die weltbesten Lulinhas nach Algarveart zaubert.
Cabo de Sao Vicente – Das Ende Europas
Portimao in Portugal ist zentral an der Algarve gelegen, eine gute Stunde Autofahrt vom Flughafen Faro entfernt. Ebenfalls eine gute Stunde Fahrt braucht man von hier bis ans Ende Europas, zumindest des südwestlichen Zipfels Festlandeuropas. Und genau dorthin will ich heute, das Auto habe ich gegen einen Motorrad getauscht, nicht irgendeines, sondern eine brandneue Yamaha Tenere 700, das optimale Gefährt, um später noch ein wenig die wilde Westküste zu erkunden.
„Jetzt geht es Richtung Cabo de São Vicente.“
Die Fahrt entlang der N125 ist relativ unspektakulär, größere Abstecher etwa nach Lagos oder Sagres spare ich mir heute, wartet doch der wilde Westen mit seinen spektakulären Klippen und einsamen Pisten auf mich. Dort wo es nicht explizit durch Schilder verboten ist, darf man abseits der Strasse fahren, etliche Pisten meistens aus leichtem Geröll, Lehm und Sand führen hier ins Nichts, einfach fahren, ausprobieren und am nächsten Felsenvorhang staunen oder umdrehen, der Weg ist das Ziel und genau dafür habe ich ja eine Tenere.
Cabo de Sao Vicente ist der südwestlichste Punkt Festlandeuropas
Nun aber geht es erstmal zum Kap. Starker Seitenwind drückt mich immer wieder Richtung Straßenrand , das Meer kommt näher, der Atlantik schickt seinen langen Atem auf das Festland, das sich am Kap mit gewaltiger Felsenkraft gegen den Ozean stemmt. Direkt auf dem Kap steht ein mächtiger Leuchtturm, einer der lichtstärksten der Welt, der die Frachtschiffe auf ihrer Route nach Afrika vor der felsigen Gefahr warnt. Der Ausblick von hier über die Costa Vicentina ist fantastisch und gedankenverloren blicke ich Richtung Amerika, irgendwo dort hinter dem Horizont liegt es, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und hier am Kap gibt es passend dazu die letzte Bratwurst vor Amerika, seit 1995 bieten die deutschen Auswanderer Petra und Wolfgang hier original Thüringer Bratwurst an, in wunderbarer Qualität und sogar mit Zertifikat.
„Gedankenverloren blicke ich Richtung Amerika…“
Neben der Bratwurst gibt es noch paar mehr Stände mit Kram und Futtereien, bei den Klamotten empfehle ich einen Blick auf die einheimischen Pullis und Strickjacken aus Schurwolle zu werfen, die Kleidung ist regional gefertigt, hochwertig und günstig. In den Wintermonaten ab Mitte Oktober ist das Angebot aber ausgedünnt und bei der letzten Bratwurst vor Amerika sogar sehr dünne – Winterpause.
Treiben lassen
Der Wind wird stärker an diesem Morgen, der Herbst läuft sich auf dem Atlantik warm, trotzdem gehe ich ins steinerne Feld links neben der kleinen Anlage und laufe ein Weilchen der Steilküste entlang – die weitere Entfernung liefert einen fantastischen Blick auf das gesamte Kap mitsamt seinem wunderbaren Leuchtturm, ich könnte hier stundenlang sitzen und den Ausblick auf das Meer und den südwestlichen Zipfel Europas genießen.
Aber ich will ja weiter, noch mehr dieser Ausblicke einfangen, ich gehe gemütlich zurück zur Tenere, wobei gemütlich eher heißt, vorsichtig von Stein zu Stein tastend, denn das hier ist eine sehr felsige Angelegenheit und definitiv nichts für FlipFlops. Die wummernde Tenere stemmt sich gegen den Wind und ich nehme die erste Gelegenheit zum Abbiegen wahr und befinde mich bald auf einer staubigen Piste Richtung Norden wieder.
„Yeah, mein Herz pocht, endlich ist die Tenere da, wo sie hingehört und ich bin ihr Kapitän.“
Ich habe keinen Plan, lasse mich treiben, die grobe Richtung heisst Norden, im Westen rollt das Meer. Soviel Freiheit gibt es selten. Ab und zu sehe ich ein paar Rinder und Schafe, an einer Abzweigung stehen zwei Bullis älteren Semesters.
Surferparadies Costa Vicentina
Die Costa Vicentina ist ein Surferparadies. Ich nehme eine Abzweig Richtung Küste, der gleich viel steiniger und ausgewaschener wird, zum Teil sind die Tracks nur einspurig fahrbar, für ein Motorrad wie die Tenere kein Problem, für geländegängige PKW auch nicht, normalen Autos oder Wohnmobilen würde ich aber dringend davon abraten, die Hauptpisten zu verlassen, zumal es oft vor sehr schlechten Wegpassagen keine Wendemöglichkeiten gibt. Mein erster Abstecher führt zu einer kleinen Anhöhe, wo ich dann die Maschine stehen lasse und zu Fuß weitergehe, ein wahnsinnig berauschender Blick auf die Küste entlohnt den Gang durch dorniges Gebüsch, unberührte Strände, fantastische Wellen, das Surferherz hüpft im Quadrat. Gen Norden sehe ich einen Strandabschnitt, der scheinbar irgendwie mobil angefahren werden kann, zumindest sehe ich Kite-Surfer und Wellenreiter und denke mir, das Material können die nicht die ganzen Felsen herunter geschleppt haben, da will ich hin. Mein nächstes Ziel. So geht das eine ganze Weile weiter.
„Einfach treiben lassen, den Pisten folgen.“
Spontan abbiegen und im Zweifel bei unüberwindbaren Hindernissen umdrehen oder auch belohnt werden durch immer wieder neue Ausblicke. So treibe ich am Nachmittag bis Aljezur und fahre ein letztes Mal zur Küste nach Vales und geniesse den Strand, ehe ich mich dann am späteren Nachmittag wieder in die Spur Richtung Hotel mache, entlang der N267, durch die Serra de Monchique, deren höchsten Gipfel Foia lasse ich heute mal links liegen, vielleicht fahre ich morgen zur höchsten Erhebung der Algarve, vielleicht übermorgen.
Treiben lassen, abbiegen vom gewohnten Pfad, leben und genießen. Das gelingt hier im wilden westlichen Teil der Algarve besonders gut.