Von Oliver Abraham


Roter Backstein und Kopfsteinpflaster, hinter der Tür ein enges Treppenhaus, es geht auf den zweiten Boden, nicht auf die zweite Etage oder das zweite Stockwerk. Man sagt hier Boden. Ein Duft nach Exotischem wird immer deutlicher, es geht in ein Museum für Gewürze.

„Wo, wenn nicht hier?“

Und was für eine Atmosphäre in dieser Speicherstadt. In Hamburg, an der Elbe. Ende des vorvergangenen Jahrhunderts wurde diese Stadt aus Ziegelsteinen gebaut und zum Freihafen erklärt.

Noch immer ist es der größte zusammenhängende historische Lagerhauskomplex der Welt, einer der traditionsreichsten ist er sowieso. Man spürt den Hafen beim Gang durch die Gassen. Geht im Geist auf Große Fahrt. Und von dort kamen die Seefahrer von einst zurück; sie brachten Exotisches mit und sie lagerten es hier – unter anderem: Kaffee, Tee, Kakao.

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Die Seefahrer von einst brachten Exotisches mit. Foto: Oliver Abraham

Segelschiffe voller Gewürze


Auch Gewürze wurden damals in der Hamburger Speicherstadt angelandet, gelagert, verarbeitet, umgepackt. Heute passiert das im modernen Teil des Hafens. Pfeffersäcke nannte man einst die durch den Gewürzhandel reich gewordenen Kaufleute.

Hamburg ist der drittgrößte (man ist sich diesbezüglich mit Rotterdam nicht immer so ganz einig) Umschlagshafen für Gewürze weltweit, nach Singapur und New York, heißt es im Gewürzmuseum.

Die Hamburger Kaufleute Viola Vierk und Uwe Paap waren lange Zeit im internationalen Gewürzhandel tätig und gründeten Anfang der 1990er Jahre das Gewürzmuseum. „Längst hat auch der Handel mit Gewürzen nichts Romantisches mehr“, sagt Viola Vierk, „Gewürze sind Waren wie jedes andere Handelsgut auch. Das Geschäft ist bis auf wenige Ausnahmen komplett durchkommerzialisiert.“ Sicher: In den Ursprungsländern ist es exotisch – auf kleinen Plantagen, auf den Basaren –, dort sind es durchaus sinnliche Erfahrungen.

Gewürze mit allen Sinnen erfahren


Sind die Gewürze im Ursprungsland erstmal im Container, bleibt auf dem Weg zum Supermarktregal die Romantik oft auf der Strecke. Allerdings kann sich Jeder heutzutage beispielsweise Pfeffer leisten, früher war das ein Luxusgut. Aus dem Besonderen wurde das Alltägliche. Aber ein lebensmittelrechtlich einwandfreies Produkt; geprüft, kontrolliert, von sicherer Qualität. Es gibt hierzulande jedoch Orte, an denen diese Atmosphäre vergangener Tage weiterlebt, Gewürze und ihre Geschichte mit allen Sinnen erfahrbar sind.


„Wir wollen verhindern, dass die alten Aufbereitungsformen und Handelswege in Vergessenheit geraten“, berichtet Viola Vierk, die das Spicy´s seit der Jahrtausendwende allein führt, „wir wollen Gewürze auch wieder sinnlich erlebbar machen!“

Sie haben viele Ursprungsländer bereist – zum Beispiel die Türkei und Ägypten, Indien und Brasilien. Vierk und Paap kamen zur rechten Zeit und fanden noch das, was bald niemand mehr gebrauchen konnte: kleine Waagen und Siebe beispielweise, exotische Behältnisse zum Aufbewahren von Gewürzen. Im Museum stehen auch bunte Blechdosen aus der deutschen Nachkriegszeit zum Aufbewahren der auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch immer wertvollen Gewürze.

Kurkuma und Safran

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Anja Taeger kennt sich mit den kostbaren, exotischen Aromen aus. Foto: Oliver Abraham


Früher wurden in der Speicherstadt Gewürze mit der Schute vom Segelschiff über das Fleet ans Lagerhaus gefahren oder mit dem Pferdefuhrwerk gebracht, dann mit der Winde auf die Böden gezogen. Die Dielen knarren beim Gang durch das Museum. In den Säcken stehen zum Beispiel Pfeffersorten, schwarz und weiß, aus Indien, Indonesien oder Vietnam. Anfangs ist es eine überwältigende Fülle an undifferenzierten Aromen. Bald sortieren sich die Düfte: hier Zimt und dort Anis, in den Säcken Bockshornkleesamen oder Gewürznelken, in den Schalen Kurkuma und Safran. Und vieles mehr.


50 Rohgewürze, knapp tausend Ausstellungsstücke, 500 Jahre Geschichte – und dort, wo es erlaubt ist, auch sinnliches Erfahren: anfassen, fühlen, riechen, probieren. Draußen hört man die Hafenbarkassen auf dem Fleet, drinnen steht die Curry-Mischung aus Sansibar (Fenchel und Kreuzkümmel, Mangopulver und Ingwer, Senfsaat und Muskat, unter anderem), man hört die Schiffe tuten und denkt an ferne Länder. Liest von ihnen; von Madagaskar und von Ceylon, von Indien und von anderswo. Und wünscht sich dorthin, wo der Pfeffer wächst!
Anja Taeger zeigt die Säcke mit Macis, der Muskatblüte. Von der Karibik-Insel Grenada zum Beispiel stammen sie und im Christstollen kann man sie auch verwenden. Sie riecht daran, Muskatblüte duftet wie die gleichnamige geriebene Nuss – nur edler, viel feiner, milder. Lässt dann duftende Gewürznelken durch die Finger rieseln. Die übrigens nichts mit Blumen zu tun haben, sondern von Holländischen Kaufleuten vor dreihundert, vierhundert Jahren dem Aussehen kleiner Nägel nach eben Negelken genannt wurden. Gewürze waren es, weswegen sogar Kriege geführt wurden. Wegen Schiffsladungen mit Säcken voller Pfefferkörner und Muskatnüssen.

Süße und leicht herb: die Tonkabohne


Manche Gewürze wurden früher mit Gold aufgewogen. So hoch gehandelt ist heutzutage nicht einmal das teuerste Gewürz: Safran, im Schnitt fünf Euro für das halbe Gramm, von dem aber nur winzige Mengen verwendet werden. Auch das, was Anja Taeger jetzt in der Hand hält, ist wertvoll – ein kleines Bündel Vanilleschoten. Grau-schwarze Stangen, weich, ledrig, duftend. Sie riecht daran und blickt aus dem Fenster, auf die Ziegelmauern alter Speicherhäuser und dorthin, wo heute Ausflugsboote auf dem Fleet fahren. Erzählt von der Insel Reunion im Indischen Ozean, von Tahiti. Von Inseln, wo Vanille wächst. Und wohin sie einst fuhren von Orten wie diesen und fremde, köstliche Aromen heimbrachten. Die Seefahrer, die Entdecker, die Gewürzhändler.
Als Anja Taeger über die Dielen geht, hinterlässt sie einen Duft nach Vanille. In solchen Augenblicken wird die alte Zeit der Gewürzhändler lebendig. Ein köstliches, kostbares Gewürz, ein exotischer Duft, der Blick aus dem Fenster auf das Fleet, Lust am Entdecken fremder Aromen und Düfte. Freude, fündig zu werden: Anja Taeger hat noch etwas! Zeigt Geriebenes und lässt daran riechen. Waldmeister? Rum? Vanille? Mandeln?

„Ein betörendes Aroma, wunderbar.“

Nicht nur süß, sondern auch leicht herb. Das stammt vom Orinoko, aus Venezuela, es ist die Tonkabohne. „Damit lassen sich nicht nur Hirschmedaillons, überhaupt: Wildgerichte, würzen, ich verwende es auch gern in Süßspeisen wie Creme Brulée.“

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Waldmeister, Rum, Mandeln oder Vanille? Anja Taeger kennt die Antwort. Foto: Oliver Abraham

Weitere Informationen unter www.spicys.de , es gibt neben der Ausstellung und einem Laden für Gewürze auch Führungen, Vorträge und Veranstaltungen zur Welt der Gewürze.
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