Von Oliver Abraham

Krimml/Hohe Tauern. Schnee ist still, und endlich sind sie gefallen, die Flocken. Leise und über Nacht. Ein sonderbares, himmlisches blaues Licht liegt am frühen Morgen über dem Tal der Salzach dort, wo es zu Ende ist. Im Süden klettern die Hohen Tauern in den Winterhimmel. Krimml heißt der Ort und auch die Wasserfälle, die auch Achenfälle genannt werden. Drei mächtige, jeweils mehr als hundert Meter hohe Fallstufen.

Nationalpark-Ranger Andreas Baldinger vor den gefrorenen Wasserfällen, den Eisfällen von Krimml. Foto: Oliver Abraham
Nationalpark-Ranger Andreas Baldinger vor den gefrorenen Wasserfällen. Foto: Oliver Abraham

Faszinierende Eisfälle in Krimml

Ein faszinierendes Naturschauspiel ersten Ranges sind die Krimmler Wasserfälle übers ganze Jahr, jetzt im froststarren Winter möchte Nationalpark-Ranger Andreas Baldinger etwas Besonderes zeigen – Eisfälle, gefrorene Wasserfälle. Und davon gibt es im österreichischen Nationalpark Hohe Tauern einige. Man kann hin wandern, am besten in geführter Tour und als erstes führt der 28jährige Andreas Baldinger zu den Fällen.

Faszinierende Eisfälle in den Hohen Tauern. Foto: Oliver Abraham
Faszinierende Eisfälle in den Hohen Tauern. Foto: Oliver Abraham

Krimmler Wasserfälle auch im Winter mit Wasser

Zu den Krimmler Wasserfällen also, die auch im Winter Wasser führen – wenngleich im absoluten Minimum, kaum mehr als 150 Liter pro Sekunde (im Sommer durchschnittlich das fast 40fache). Jetzt, da nur Schnee fällt und alles gefroren ist, liegt der Wasserstand der Flüsse und Bäche am niedrigsten, manche sind zeitweilig versiegt. Man möge sich nur das Tosen und Donnern vorstellen, wenn im Frühjahr zur Schneeschmelze ganze Sintfluten aus den Bergen zu Tal strömen (in einem Sommer in den 1980er-Jahren wurden an den Krimmler Fällen mehr als 160.000 Liter Wasser pro Sekunde gemessen).

Ranger Andreas Baldinger kennt alle sicheren Wege zu den Wasserfällen Foto: Oliver Abraham
Ranger Andreas Baldinger kennt alle sicheren Wege zu den Fällen Foto: Oliver Abraham

Nebel liegt im Tal

Jetzt ist es still, seltsam still. Andreas Baldinger führt durch den Holztrattenwald, unten im Dorf Krimml stehen schmale Rauchsäulen über den Kaminen der Häuser, es duftet nach Holzfeuer. Nebel liegt im Tal als der Tag zaghaft wach wird und die Kälte der Nacht brennt in der Nase, die Sonne steht als fahle Scheibe am Himmel und um die Gipfel im Süden, 3000er sind es, wirbeln düstere Wolken.

Im Winterwald ist einiges los

Atemwolken stehen vor dem Gesicht und der Schnee schimmert. Erste Vogelstimmen piepsen und krächzen durch den Wald, verhalten auch sie, denn im Schnee ist es still. „Ich höre einen Kolkraben, glaube ich, vielleicht ist es auch ein Tannenhäher – die kann man an der Stimme leicht verwechseln“, sagt Andreas Baldinger, „…Vogelstimmen zu erkennen – des is a Kunst!“ Man hört sie ohnehin eher, als dass man sie sieht. Und doch ist einiges los im Winterwald.

Nationalpark-Ranger Andreas Baldinger kennt die sicheren Routen. Foto: Oliver Abraham
Nationalpark-Ranger Andreas Baldinger kennt die sicheren Routen. Foto: Oliver Abraham

Winterzeit ist gut für Exkursionen

„Der Winter ist eine gute Zeit für Naturexkursionen“, meint auch der Ranger, „die Gruppen sind kleiner, man hat mehr Zeit und Muße, die Sinne sind geschärfter.“ Körper und Geist sind hellwach. Wintergoldhähnchen könne man sogar entdecken, dazu bedarf es viel Glück und scharfer Augen; es ist einer der kleinsten Vögel der Alpen, kaum mehr als daumengroß und welch ein Unterschied zum großen Raben. Was man auch sehen kann, am Bach, ist die Wasseramsel – braune Federn und weißer Latz, ein Singvogel und manchmal auch auf Tauchstation.

Der stille Schnee. Man hört Knirschen (Schneeschuhe), Krächzen (vielleicht die Krähen) und das eigene Keuchen, sonst nichts, das wirkt sonderbar. Wie in Watte gepackt, gedämpft. „Der frisch gefallene, tiefe Schnee schluckt wahnsinnig viel Geräusche“, sagt Andreas Baldinger, „wenn die Flocken locker liegen, schlucken die Hohlräume die Schallwellen.“ Deshalb klingt es seltsam und reduziert, verkürzt.

Es geht zu den unteren Achenfällen

Wir gehen über die tief verschneiten Winterwege zum Fuß der unteren Achenfälle, so benannt nach dem Fluss Krimmler Ache, die sich im Gebirge sammelt, aus den Bergen kommt und über drei Fallstufen insgesamt 385 Meter in das Tal der Salzach stürzt. Wir stehen jetzt auf einem Plateau vor den Wasserfällen, erreichen auf genehmigtem Winterwanderweg eine phantastische Bühne. Das Wasser der Krimmler Ache fällt über dunklen Fels; dröhnend hier, wie eine feine, im Wind wehende Gardine dort.

Im Stein steht viel Eis

Neben dem Sturzbach hängt am Fels, steht im Stein viel Eis. Wie eingefroren im Augenblick des Fallens wirkt es, obwohl diese bizarren Skulpturen langsam aus Wasser, Gischt und Dunst wachsen. Es ist auf das Rohe reduziert und sieht aus wie ein Schwarz-Weiß-Bild. Kontraststark; statisch hier, dynamisch dort, fest und fließend gleichermaßen, unbegreiflich.

Eisskulpturen groß wie Türme

Schritt für Schritt, Andreas Baldinger vorsichtig vorneweg, wagen wir uns über Steine und Schnee noch etwas vorwärts, spüren nun den eisigen Hauch, schmecken jetzt den kalten Wasserdunst. Weiter nicht, es ist stark genug so, es ist gewaltig und überwältigend, trotz Abstand unmittelbar und voller Eindrücke auch aus sicherer Entfernung, wir staunen stumm. Der Mensch wirkt winzig vor dem himmelhohen Fall und den Eisskulpturen groß wie Türme. Diese Gebilde sind gewiss steinhart, doch sie sind auch so fragil, dass sie jeden Augenblick einstürzen können, abbrechen oder herunterfallen.  

Bizarre Kunstwerke aus Eis

Es sind nicht die einzigen Eisfälle im Nationalpark. Der Ranger schlägt vor, in das Tal des Untersulzbaches zu gehen, gelegen am Ausgang eines Tals, das zu den ursprünglichsten der Alpen gehört. Auf dem Weg dorthin kann man am Rand der Wanderwege immer wieder Eis sehen, das an den Felsen hängt. Darin sind eingefrorene Pflanzen, zartes Grün wie eben frisch gesprossen, es sieht aus wie ein bizarres Kunstwerk. Das Eis ist mal vollkommen klar, wie ein Schaufenster in die vergangene Zeit des Lebendigen, mal zerbrochen und verworfen wie Scherben und gibt einen nur bruchstückhaften Blick frei, auf das, was da eingefroren ist, es erzeugt seltsame Zerrbilder.

Momentaufnahmen im Winterwald

Aus manchem Holz am Boden wächst Eis, das zart ist wie Schaum und sofort taut, fasst man es an. Es sind bisweilen unfassbare, unbegreifliche Dinge in diesem Winterwald. Es sind Momentaufnahmen. Für  einen Moment auch nur war der Schneehase hier, Andreas Baldinger hat das Trittsiegel dieses Reliktes der Eiszeit, vom Phantom des Winters gefunden – wer wird diesen Hasen jemals sehen, wie viele sind überhaupt noch da?

Manche Tiere legen sich ein weißes Winterfell zu, um im Schnee nahezu unsichtbar zu werden – das Huhn, das Hermelin. Und der Hase auch: „Das weiße Fell hat nicht nur eine tarnende Funktion“, sagt der Ranger, „das weiße Fell isoliert besser gegen die Kälte. Denn das Deckhaar ist innen hohl und sieht daher weiß aus. Dadurch reduziert sich der Wärmeverlust – ähnlich wie bei einer luftgefüllten dicken Daunenjacke.“

Eis im Bachlauf. Foto: Oliver Abraham
Eis im Bachlauf. Foto: Oliver Abraham
Gämsen beobachten

Der Schneehase ist kleiner als sein Verwandter vom Feld, mit kurzen Ohren und breiten Pfoten, die wie kleine Schneeschuhe wirken. Dann baut der Ranger das Spektiv auf, ein starkes Fernrohr auf einem Stativ. Auf dem Grat benachbarter Berge sind Gämsen zu beobachten. „Sie klettern oft auf exponierte Flächen, wo der Wind den Schnee fortgeweht hat und sie einfacher Gras zum Fressen finden.“  „Unterwegs sein“ mit naturkundlichem Fachpersonal ist eben mehr als nur ein Spaziergang im Schnee.

Weiteres Fortkommen kaum möglich

Andreas Baldinger führt auf die weite Schotterfläche des Sulzbaches, der hier und heute fast völlig versiegt ist. Auf den Steinen liegen Hauben aus Schnee, das Geröll ist eisüberzogen, wirkt wie glasiert. Ein weiteres Fortkommen ist kaum möglich, da jeder größere Stein mühsam und vorsichtig umgangen werden muss und auf Schneebretter kaum getreten und gegangen werden kann, denn sie drohen einzubrechen. Es ist unsicher und gefährlich. Tierspuren aber finden sich auch hier.

Lichtspiele entlang des eisigen Ufers. Foto: Oliver Abraham
Lichtspiele entlang des eisigen Ufers. Foto: Oliver Abraham
Milchige und blaue Eisfälle

Holztrümmer liegen im breiten Bachbett, ebenfalls von Eis überzogen wirken sie wie lackiert. Wasser ist plötzlich zu hören, irgendwo fließt doch etwas und es sammelt sich vor einer Felspalte und stürzt durch die Klamm hinab. Wir sind wieder auf einem Wanderweg und folgen dem Sulzbach hinunter ins Tal der Salzach. An den Felswänden sind gefrorene Wasserfälle zu sehen. Manche milchig wie ein blindes Auge und manche schimmern blau, andere sind durchsichtig, Eis in meterlangen Zapfen, Eisgebilde im Zwielicht ewigen Schattens und in der Dämmerung des schwindenden Tages.

Alles ist erstarrt im Nebel

Die Kälte hat zugenommen und sie fließt von den fernen Bergen hinab, Nebel bildet sich und alles ist erstarrt. Die Sonne ist verschwunden und um die Gipfel von Keeskogel und Schwarzem Hörndl, von Klein- und Großvenediger, von Habachspitze und Gamsmutter toben dunkle Wolken. Zeit für den Rückweg, das Wetter macht dicht. Unterhalb des Sulzbachfalles führt Andreas Baldinger an das Ufer des Baches, hinein in eine zunehmend enger werdende Schlucht. Auch hier hängt Eis an den Felsen, auf den Schotterbänken knirscht der Schnee und die Schritte brechen durch klirrendes Eis.

Nationalpark-Ranger Andreas Baldinger auf dem Weg zu den Krimmler Wasserfällen, die im eisige Winter zu gefrorenen Wasserfällen werden, zu Eisfällen. Foto: Oliver Abraham
Nationalpark-Ranger Andreas Baldinger auf dem Weg zu Wasserfällen, die im eisige Winter zu Eisfällen werden. Foto: Oliver Abraham
Abstecher vom Weg nur unter kundiger Führung

Solche Abstecher sollte man nur unter Führung kundigen Personals unternehmen, der Nationalpark-Ranger ist Bergführer und kann erkennen, ob das Eis stabil ist oder nicht. Der Ranger will es ausnahmsweise wagen und wir gehen – langsam und vorsichtig, Schritt für Schritt – weiter in die Schlucht und stehen bald vor einem Vorhang aus meterhohen Eiszapfen. Wieder stummes Staunen, so unfassbar ist es. Erneut müssen wir den Bach queren und einen Baumstamm, der darin liegt, umgehen. Mal ist das Eis an den Wänden fein und filigran, dann grob und groß wie Packeis. Wir stehen vor Kaskaden aus Eis, vor einem Strom aus Eis, der sich als gefrorener Wasserfall, als erstarrter Sturzbach, zig Meter einen Hang herunter wälzt.

Ein faszinierendes Naturschauspiel ersten Ranges sind die im eisigen Winter gefrorenen Wasserfälle. Foto: Oliver Abraham
Ein faszinierendes Naturschauspiel ersten Ranges sind die im eisigen Winter gefrorenen Wasserfälle. Foto: Oliver Abraham

Der Ranger bittet darum, Abstand zu halten und zeigt kiloschwere Eisblöcke, die abgebrochen sind und am Boden der Schlucht herumliegen. Längst aber ist alles wieder erstarrt und einzig das tosende Wasser eines Wasserfalls fließt, ergießt sich in einen Pool am Ende der Schlucht. Vielleicht steht auch dieses Wasser bald still. Eis scheint aus den Felswänden zu quellen; es sieht strömend aus, fließend, und ist doch erstarrt. Kälte kriecht in die Knochen, blaue Stunde und die Flocken fallen – wundersame Eiszeit.

Information:

Winterliche Touren und Ranger-Führungen im Nationalpark/Urlaubsregion Hohe Tauern: www.nationalpark.at

Übernachtungsempfehlung in Krimml, zum Beispiel:  www.hotel-krimml.at  

Zum Reiseland Österreich: www.austria.info

Diese Reise wurde unterstützt von Österreich Werbung 

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