Von Oliver Abraham
Berchtesgaden. Über 100 Jahre galten sie als ausgerottet in den Alpen, jetzt kreisen die mächtigen Bartgeier wieder am Himmel über dem Nationalpark Berchtesgaden.
Einst ausgerottete Bartgeier kreisen wieder am Himmel
Mit über drei Metern Spannbreite zählen sie zu den größten Greifvögeln der Welt, dank eines Auswilderungsprojektes kann man sie jetzt auch wieder hier erleben, sechs junge Geier wurden seit 2021 in den Ostalpen ausgewildert. Mächtig und erhaben, ebenso wie die Steinadler, allein vier Paare dieser stolzen Greifvögel leben inzwischen hier im Nationalpark.
Die Alpen im Nationalpark Berchtesgaden
Das Klausbachtal im Nationalpark Berchtesgaden liegt in frühem Zwielicht, manch Schneefläche an steilem Fels, vor schroffer Spitze schimmert von unsichtbarer Sonne sanft beschienen. Dohlen fliegen auf und sind doch als Schemen nur zu sehen; wie Schatten, wie Gespenster. Flüchtig, flatterhaft. Ihre melodiösen Rufe verwehen. Fichten stehen schwarz und schweigend, scharf wie ein Scherenschnitt vor Bergen, die ein Bollwerk sind, hier steigen die Alpen an. Auf über 2.700 Meter und heute bis in die Wolken.
Ein roher Wintermorgen in den Alpen
Es ist roh und reduziert an diesem Wintermorgen. Licht und Schatten spielen miteinander, es sind krasse Kontraste und ein tolles, ein markantes Panorama. Vom Hintersee, gelegen oberhalb von Ramsau, führt der Wanderweg hinaus, hinauf ins Klausbachtal. Berge verschwinden wieder in den Wolken und jeder Augenblick ist anders. Aussichten gibt es abschnittsweise, die Grundstimmung ist düster bis dramatisch. Kalt, hart, abweisend, die Gipfelparade wie eine von Zinnen bewehrte Mauer vor dem Reich der wilden Tiere.
Unbedingt die Rangerstation besuchen
Wolkenfetzen steigen auf, auch die leuchten so sonderbar wie manche Schneefläche. Und da oben – ob das ein Adler ist? Rechts im Himmel, hoch vor dem Gipfel. Kann sein. Vor dem „Klausbachhaus“, der Rangerstation und dem kleinen Museum, liegen Holzscheite vor der Tür gestapelt. Es lohnt ein Besuch, hier gibt es aktuelle und vor allem kundige Informationen zu Weg und Wetter und zu dem, was da draußen heute möglich ist, was man besser sein lassen sollte. Man denke auch an Lawinen. Hier lernt man etwas über die Adler und Geier.
Gehen bis zur Hängebrücke
Die Flocken fallen, und man möge halt so weit gehen wie es eben geht. Bis zur Hängebrücke vielleicht, das sollte machbar sein. Je nachdem, was die Verhältnisse hergeben, man wird sehen. Entsprechend wetter- und winterfest angezogen natürlich, mit Proviant und Karte versorgt. Gefrorener Schnee knackt unter den Schritten.
Es wird kälter und kälter
Von den jetzt knapp 700 Höhenmetern geht es stetig bergauf und es wird kälter von Augenblick zu Augenblick, auch klarer: die Bergspitzen leuchten bisweilen freundlich und hell im Licht, phantastische Formationen sind jetzt zu sehen. Und wenn man sich die Details im Wald anschaut: Manche Baumrinde sieht aus wie Kunstwerk – winzige, glitzernde Eiskristalle auf heller Borke und feine, filigrane Flechten. Fichten wachsen hier in der Hauptsache, auch Ahorne und Buchen, wird es höher und wilder, auch Birken und Latschenkiefern.
Da sind doch Adler am Himmel
Sind das doch Adler, die in der Thermik kreisen? Ein Holzhaus, eine Brücke und der Bachlauf sind teils von Schnee bedeckt, sind teils darin versunken. Es wird starrer und immer kälter, gefühlt mit jedem Schritt. Und es liegt nun viel mehr Schnee, Menschenspuren sind keine mehr zu sehen (und Menschen selbst schon lang nicht mehr), immer mehr und immer deutlicher hingegen Tierspuren – hier leben Schneehase und Hirsch, Auerhuhn und Hermelin, Rehe, Gämsen. Zum Beispiel. Leise klingt es über den Schnee, auch das eine feine Melodie, immer woanders. Wie ein Lockruf, tiefer in den Wald zu gehen, vielleicht ist es die Tannenmeise.
Knietiefer Schnee erschwert das Fortkommen
Die Trittsiegel sind tief und den jeweiligen Tieren kaum zuzuordnen, auch die Tiere haben mit dem Fortkommen im Schnee zu kämpfen. Der ist knietief und liegt manchmal hüfthoch, von kleinen Bäumen ragen nur die Spitzen aus dem Schnee. Die Kälte brennt in der Nase, ab und zu rauscht Schnee von Bäumen und die Kristalle funkeln im Licht. Ein eiskalter Hauch weht durch den Wald, der Atem steht als Wölkchen vor dem Gesicht.
Tierspuren im Schnee
Es ist anstrengend, durch tiefen Schnee zu gehen, aber es ist spannend, neugierig ist man – wird man was sehen, was wird man sehen? Unter manchem Baum konzentrieren sich Tierspuren, der Schnee ist dort bis auf das Gras weggescharrt, Haare hängen an Baumrinde, Urinspuren im Schnee und Losung sind zu erkennen, zerbissene Zapfen, Schalen kleiner Kerne. Hier leben Tiere, sie sind aktiv und hier unterwegs. Auch um sie nicht unnötig aufzuscheuchen, müssen Wanderer auf den genehmigten Wegen bleiben.
Ein Tier zu beobachten ist Glückssache
Ein Tier zu beobachten, eines überhaupt zu sehen? Das ist wohl Glückssache, am ehesten sind vielleicht Gämsen mit dem Fernglas auf exponierten Berghängen zu erkennen. Es gilt die Weisheit – Frag nicht, wie viele Tiere Du gesehen hast. Frag lieber, wie viele Tiere Dich gesehen haben. Schaurig hallt der Ruf des Kolkraben durch den Wald, auch diese Stimme ist wieder und wieder zu hören, aber nie kommt man ihr näher.
Eiszapfen beim Wachsen zusehen
Die Hängebrücke ist erreicht, rund zwei Stunden nach dem Aufbruch. Dahinter klemmt der Weg an einer Felswand. Wer Muße hat, kann Eiszapfen jetzt beim Wachsen zusehen. Das Tackern der Spechte ist zu hören. Ab hier liegt zu viel Schnee, um weitergehen zu können, zu beschwerlich und zu gefährlich.
Innehalten und beobachten
Aber warum nicht innehalten (Wild wird eh ersessen und nicht erlaufen) – das Klausbachtal ist ein guter Ort, um auch nach Vögeln zu sehen. Hörte man ihre Stimme nicht schon längst, gibt es nicht mehr Hinweise auf die vielfältige Tierwelt als nur Spuren im Schnee? Es lohnt sich, den Blick im Nationalpark, auch und besonders im Klausbachtal, in den Himmel zu richten oder das Fernglas Richtung der Felswände.
„Im Nationalpark leben aktuell vier Steinadler-Paare“, berichtet Ranger Franz Eder, „sie ziehen auch im Winter nicht fort. Nachdem sie im vorvergangenen Jahrhundert in Deutschland fast ausgerottet waren, haben sie hier in den bayerischen Alpen ihre alten Lebensräume zurückerobert.“
Steinadler im Winter beobachten
Mit Geduld und Glück kann man während einer Wanderung durch das obere Klausbachtal Steinadler beobachten. „Und gerade im späten Winter geht das gut, sogar besser als im Sommer“, sagt Franz Eder, „…denn dann beginnen die Paare bereits mit dem Renovieren ihrer Horste und der Balz.“
Steinadlerpaare bleiben lebenslang zusammen
Das Adlerpaar, sie bleiben lebenslang zusammen, fliegt dann oft gemeinsam und gegenseitig füttern sie sich. Vor den Felsen von Teufelskopf oder Reiteralm und Mühlstürzhörner zum Beispiel kann man sie segeln sehen. Üblicherweise werden auch im Winter vom Nationalpark begleitete Adler-Beobachtungstouren angeboten.
Steinadler haben es gern sauber
Zwar wissen die Naturführer, wo die Horste sind – im Fels und auf der Fichte zum Beispiel. „Aber ob aktuell dort ein Adlerpaar nistet, ist nicht sicher. Denn Adler haben mehrere Horste und wechseln diese jedes Jahr,“ berichtet der Ranger, „das tun die Vögel aus Gründen der Hygiene und Reinlichkeit.“
Adler im Winter beobachten
Steinadler haben es gern sauber: Weil sie ihren Nachwuchs mit tierischer Nahrung füttern, verbleiben Reste im Nest und das zieht Ungeziefer an. Wird dieser Horst für eine gewisse Zeit verlassen, wittert der Dreck raus. Ist er wieder sauber, ziehen ihn die Adler erneut in Betracht. Auch während einer eigenen Winterwanderung hat man im Nationalpark Berchtesgaden also gute Chancen, Steinadler zu beobachten.
Steinadler Beobachtungspunkt
Der Adlerbeobachtungsplatz rund zwanzig Gehminuten taleinwärts auf dem Wanderweg ab Klausbachhaus ermöglicht entspanntes Ausschau-Halten – sich auf eine Holzliege legen und nach oben schauen. „Wir haben an den Wanderwegen Schautafeln aufgestellt, da stehen Hinweise, auf welchen Bereich man besonders achten sollte.“
Bartgeier waren in den Alpen vollständig ausgerottet
Nicht nur fast, sondern vollständig ausgerottet war in den Alpen mehr als hundert Jahre lang der Bartgeier. Seit fast vierzig Jahren wird ausgewildert, in den West- und Zentralalpen vermehren sich Freilandbruten wieder selbständig, in den Ostalpen kommt die natürliche Reproduktion bisher nur schleppend voran – seit 2021 wurden im Nationalpark Berchtesgaden bislang sechs junge Geier ausgewildert, und das Projekt läuft weiter.
Bartgeier gehören zu den weltweit größten Greifvögeln
Bartgeier sind Segelflieger und gehören mit einer Spannweite von fast drei Metern zu den größten Greifvögeln der Welt. Trotz ihrer imposanten Größe sind Bartgeier reine Resteverwerter, sie jagen keine Beute, als Aasfresser bedienen sich in erster Linie an den Knochen anderweitig geschlagenen Wildes.
Ende November flog zum wiederholten Mal ein in der Wildnis geborener Bartgeier in den Nationalpark Berchtesgaden; einer, der nicht dort ausgewildert worden ist (denn diese tragen Ringe, haben Namen, die sind bekannt). Ein sehr gutes Zeichen.
Bartgeier fliegt in Nationalpark Berchtesgaden
„Junge Bartgeier orientieren sich in ihrer Wanderphase in den ersten Lebensjahren stark am Vorkommen von Artgenossen“, erklärt Toni Wegscheider, Bartgeier-Experte beim Landesbund für Vogel- und Naturschutz Bayern (LBV), „daher freut es uns sehr, dass die Präsenz unserer Geier auch wilde, herumstreifende Junggesellen in die Region lockt.“
Das Auswilderungsprogramm verantwortet der LBV gemeinsam mit dem Nationalpark. „Das ist ein weiterer Erfolg im gemeinsamen Projekt, diese faszinierende Vogelart wieder nach Deutschland zurückzubringen“, so Wegscheider.
Bartgeier fliegen in den ganzen Alpen lange Strecken
Bartgeier leben in den gesamten Alpen und können am Tag weite Strecken über Ländergrenzen hinweg zurücklegen, „ansässig“ (als Brutvogel) sind sie im Nationalpark Berchtesgaden noch nicht. „Bitte melden Sie uns ihre Geiersichtungen über das Onlineformular auf der Webseite des LBV“, sagt Ranger Franz Eder, „so können wir uns einen noch besseren Überblick über die Entwicklung der Bartgeierbestände in unserer Region und alpenweit verschaffen.“
Erkennbar durch Größe und Spannbreite
Diese Geier sind zum Beispiel durch ihre schiere Größe, der bei ausgewachsenen Vögeln hellen Brust und – bestes Merkmal – den keilförmigen Schwanz gut zu erkennen und mit etwas Übung von anderen großen Vögeln – Gänsegeier, Steinadler, Kolkrabe – zu unterscheiden. „Jede einzelne Beobachtung ist wichtig“, sagt Franz Eder, „mit einem Foto oder einer Beschreibung lässt sich manchmal sogar das Individuum bestimmen.“
Neuer Schnee kommt auf
Wichtig sind genaue Angaben – Datum, Uhrzeit, Standort. Wissenschaft und Forschung sind auf Daten angewiesen. Puzzlestück für Puzzlestück ergibt sich ein immer schärferes Bild. Die Gipfel der Mühlsturzhörner sind wieder von Wolken umweht. Schneefall kommt erneut auf und nimmt rasch zu. Manche Wegweiser sind schon fast im Schnee versunken, hier und heute ist endgültig Schluss mit Weiterkommen. Auch nach Geiern gucken und nach Adlern ist schlecht jetzt, der Schnee. Es geht zurück, und bald sind sie wieder unter sich; der Hirsch, der Hase, das Hermelin.
TIPPS FÜRS WINTERWANDERN
Wie ein Fjord liegt der Königssee in den Bayerischen Alpen. Begleitete Winter-Wanderungen im Nationalpark Berchtesgaden führen zum Beispiel in den Malerwinkel – mit Blick über den Königssee bis zur Halbinsel St. Bartholomä und die Naturführer wissen auch um die Tiere im Park.
Auf dem Königssee ist die Schifffahrt auch im Winter in Betrieb, es sei denn, der See ist beispielsweise zugefroren oder es stürmt zu stark. Eine Fahrt mit dem Schiff vor bilderbuchschöner Bergkulisse ist sicher ein perfekter Start oder Abschluss einer Wanderung. Wanderwege erschließen das Gebiet auch im Winter in und über den Nationalpark hinaus; den Fuß des Watzmann inklusive und manche mit Weitblick über den Königssee.
Der ist nicht der einzige See in der Region, schöne Strecken führen zum Beispiel um den Abtsdorfer See (ein Moorsee, gelegen im Voralpenland) oder von Ramsau zum Hintersee.Typisch für die Alpen um Berchtesgaden ist die Gams.
Im Winter zieht es die Hochgebirgsartisten in tiefere Lagen, vielleicht sieht man mit dem Fernglas dann die scheuen und geschickten Kletterer im Wald oder auf freigescharrten Flächen zwischen den Felsen, wo sie nach Futter suchen – grundsätzlich ist das möglich, aber eher etwas für das geübte Auge. Apropos Futter: Im Klausbachtal wird das Wild täglich an einer bestimmten Stelle gefüttert, dort steht ein Beobachtungsturm nahe der Futterstelle – bis zu 70 Stück Rotwild kommen regelmäßig.
Informationen:
www.nationalpark-berchtesgaden.bayern.de
www.berchtesgaden.de/nationalpark/winter
Information zum Urlaubsziel Berchtesgaden. www.berchtesgaden.de
Diese Reise wurde unterstützt vom Zweckverband Bergerlebnis Berchtesgaden
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