Von Oliver Abraham
Hallenberg (Hochsauerlandkreis). Eiskünstler Joachim Knorra fackelt nicht lang. Flammen leuchten durch das Eis, die Figur beginnt zu leben, scheint zu tanzen. Es ist ein Spiel mit Licht und Schatten, es ist Eisbildhauers Kunsthandwerk. Flammen züngeln über die Skulptur, geben ihr Bewegung und Geheimnis. Bizarre Bilder sind das im Atelier des Eiskünstlers, seltsam und wunderlich. Rot und orange flackert es durch den Körper aus kristallinem Wasser, blau und silbern ist das Eis in krassem Kontrast. Feuer fließt über die Figur.
Eisige Kälte von Eiskünstler Knorra wird flammend zur Kunst
Die Flammen sind das Finish, und es ist eine vergängliche Kunst, die Joachim Knorra schafft. „Je länger eine Figur taut, desto interessanter wird sie – denn dabei wechselt sie ständig ihr Aussehen“, erzählt Joachim Knorra, Eiskünstler aus dem Hochsauerlandkreis, der mit ganz speziell gefrorenem Wasser arbeitet, mit Eis, und mit Sonderwerkzeug aus Fernost.
„Wenn sie tauen, dann beginnen sie zu leben!“
Tierfiguren zum Beispiel, die er aus einem zentnerschweren Eisblock sägt und schnitzt, feilt und meißelt. Die er mit der Flamme formt. Die dann zu leben anfangen, wenn sie zu vergehen beginnen. Wenn sie glitzern, strahlen und funkeln im Licht. Heute arbeitet er an zwei Plastiken, die Reh und Wildschwein darstellen. Im Sommer sind es hauptsächlich Skulpturen für private Feiern und Feste, im Winter Weihnachtliches für Adventsmärkte.
Es sind einzigartige Figuren, transparent und geheimnisvoll im Lichtspiel. Faszinierend, aber eben auch vergänglich. Ist es nicht schade um die schönen Stücke, wenn sie tauen und spurlos verschwinden? „Nö!“, sagt Künstler Knorra, „so bleibt die Nachfrage erhalten.“
Schließlich wird er beauftragt, diese Kunstwerke herzustellen, und aufheben wird sich das Bestellte wohl kaum jemand können. „Die Figuren schmelzen ihnen nicht sofort dahin, die halten am Buffet oder auf der Party acht Stunden durch.“ Joachim Knorra lebt und arbeitet in Hallenberg, dort, wo Hessen und NRW sich in den Bergen begegnen. Er öffnet die Tür zu seiner Kühlkammer, ein eisiger Hauch strömt ins Atelier. In der Kammer liegen die Eisblöcke in ihren Styropor-Boxen.
Völlig glasklare Eisqualität
Im Atelier selbst stehen zwei haushaltsübliche Kühltruhen, darin produziert Joachim Knorra sein Arbeitsmaterial. Nicht einfach Eis, nicht mal ebenso: „Das Wasser muss völlig frei von Blasen sein, damit der Eisblock später ganz klar ist.“ Und daran hat er zwei Jahre herumgetüftelt. „Ich benutze ein spezielles Gerät, dass ich in die Wasserleitung installiert habe – es belebt das Wasser, dadurch erreiche ich eine noch bessere, völlig glasklare Eisqualität.
Minus 22 Grad müssen die Blöcke kalt sein
Das Wasser muss beim Frieren in ständiger Bewegung sein.“ Es dauert sechs bis acht Tage, um die Blöcke zu gefrieren. Dann sind sie minus 22 Grad kalt und wiegen gut 50 Kilogramm, „…schwerere Blöcke produziere ich nicht, denn ich könnte sie dann nicht mehr tragen“, sagt Knorra. Und wenn das Kunststück größer werden soll als 65 mal 40 mal 22 Zentimeter?
„Größere Skulpturen baue ich aus mehreren Blöcken; ich klebe die einfach mit Hilfe eines Bügeleisens zusammen. Bei den tiefen Minusgraden friert das oberflächlich getaute Wasser sofort wieder und die Blöcke haften zusammen. Mit einem Gasbrenner mache ich die Naht wieder glatt.“
Seltsame Methoden für sonderbares Material
„Bei minus 42 Grad ist das Eis hart und spröde wie Marmor, bei minus 25 Grad so fest wie Eisen – bei minus zehn Grad aber so weich undd trotzdem so stabil wie Holz“, erklärt Knorra, „damit kann ich am besten arbeiten. Wenn das Eis wärmer wird, geht es auch nicht mehr so gut; ab minus sechs Grad wird es dann zu weich.“
Die Eisblöcke stehen auf der Werkbank. Zwar ist es auch im Sommer in seinem Atelier angenehm kühl, doch: „Jetzt hält die ideale Arbeitstemperatur nur zwei Stunden, im Sommer muss ich zwischendurch wieder einfrieren.“ Knorra greift zur Kettensäge, für den groben Zuschnitt. Dann beginnt er mit der Feinarbeit. Nimmt Meißel, Säge, dann eine Art Kamm. Für das Finish schließlich greift der Künstler zum Gasbrenner; glätten und glasklar machen, Brillanz geben.
Japanische Sägen für die Feinarbeit
Um das Fell der beiden Tierfiguren möglichst fein herauszuarbeiten, nimmt er eine spezielle japanische Säge, in Japan habe das Eisschnitzen eine lange Tradition. „Als ich vor dreißig Jahren damit begonnen habe, waren die Werkzeuge unheimlich schwer zu bekommen und sie waren ziemlich teuer. Ich musste mir manche Feile und manches Stemmeisen extra aus Japan kommen lassen.“
„Für eine Wildschweinfigur brauche ich zwei Stunden“
Knorra nimmt eine feine Feile, „am Modell des Brückentors von Traben-Trarbach mit einer Tonne Gewicht habe ich seinerzeit einen ganzen Tag gearbeitet.“ Hochsaison ist für Joachim Knorra der Advent, dann arbeitet er auf Weihnachtsmärkten im ganzen Land.
Auch im heißen Sommer läuft‘s prima mit der Eiskunst
Und im Sommer? „…läuft es auch ganz prima! Dann gebe ich Einzelunterricht hier in meinem Atelier in Hesborn oder Seminare für Gruppen am Eishäuschen unten in Hallenberg“, sagt der Künstler, „die Kursteilnehmer können aus ihren Eisblöcken schnitzen, was sie möchten. Ich unterstütze dann jeden Teilnehmer dabei, so dass jeder am Ende eine schöne Skulptur mit nach Hause nehmen kann.“
Der Eiskünstler schnitzte weiter und weiter
Joachim Knorra ist gelernter Bäcker und Konditor. Zu seiner Bundeswehrzeit belegte er einen Eisschnitzer-Kurs, den Leuten in der Offiziers-Messe gefiel das, was Knorra ihnen zur Zierde auf´s Buffet stellte. Er schnitzte weiter, tüftelte sich zur Perfektion, begann schließlich Kurse zu geben und zieht seit Jahren von Weihnachtsmarkt zu Weihnachtsmarkt, ist dafür Monate im Voraus ausgebucht. Seit mehr als dreißig Jahren ist Eis für den heutigen Hausmeister ein fester Nebenerwerb. Spätestens im September, das ist sein Plan, möchte Joachim Knorra eine neue Ausstellung im „Hallenberger Eishäuschen“ eröffnen – voraussichtliches Thema: „Eisblumen“.
Echte Blumen im Eisblock
Dazu wird er Blumenmotive schnitzen und echte Blumen in Eisblöcke einfrieren und anschließend Skulpturen daraus schnitzen. Eine ehemalige Ausstellung trug den Titel „Im Meer“ und war mit Fischen, Muscheln und Seepferdchen bestückt.
„Eishäuschen“ gab es im Sauerland früher schon
In „Eishäuschen“ wurde früher Eis aufgehoben, es gab sie an vielen Orten im Sauerland und Rothaargebirge. „Brauereien unterhielten solche Eishäuschen hier noch bis in die 1960er-Jahre“, so Knorra, „im Winter wurden Eisblöcke aus zugefrorenen Bächen und Seen gesägt. Von Strohballen isoliert hielten sie sich in diesen fensterlosen Gebäuden mit ihren dicken Wänden bis weit in den Sommer. Mit dem Eis wurde das Bier gekühlt.“
Seltsame Eisblumen
Auch die „Eisblumen“ sind seltsame Kunstwerke: Joachim Knorra öffnet den Deckel einer Kühltruhe und holt einen kleineren Eisblock heraus. Sofort beschlägt das Eis. Verlassen sie ihr eisiges Grab, die Kühltruhe, beginnen die bizarren Bilder zu verblassen, verschwinden hinter einem Vorhang aus Raureif. Eine feine Schicht aus Eiskristallen beginnt an diesem feuchten, warmen Sommertag unbegreifliche Bilder zu bedecken.
Rote Flammen, schmelzender Reif
Rot sind die Flammen, rot sind die Rosenblüten. Knorra greift zum Brenner, die Flammen schmelzen den Reif, das Eis wird vollkommen klar. Es kommen darin morbide Motive zum Vorschein: ein Strauß Rosen wie schwebend und im Augenblick der Blüte prallen, prächtigen Lebens wie für die Ewigkeit eingefroren im Eis. Es sind edle, feine Blüten in voller Farbe, Schönheit und Kraft; zart – und doch erstarrt. Im Eis, das blau und kalt schimmert und silbern reflektiert. So faszinierend wie vergänglich.
Information: Das Eishäuschen in Hallenberg ist sicher eines der kleinsten Museen Deutschlands, aber gewiss eines der coolsten eishaeuschen-hallenberg.de/Informationen zu Terminen und Kursen mit Joachim Knorra und seiner Arbeit gibt es unter ekjk.de
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