Von Oliver Abraham

Whitby, Yorkshire, England. Vor dem altehrwürdigen Haus in Yorkshire an der Ostküste von England wehen der Union Jack und die Flagge von Australien. Der Blick fällt auf den Hafen von Whitby, in den engen Gassen hallen die Schritte. Aus dem gemütlichen Tea-Room gegenüber fließt warmes Licht durch die beschlagenen Fenster. In der Luft liegt, wieder einmal, der Geruch nach Kohlenfeuer, der nach See und Hafen, die Schreie der Möwen verwehen. Man steht vor dem Haus, in dem eine große Reise um die Welt begann: dem Captain Cook Memorial Museum.

Yorkshire an der Ostküste Englands, Grossbritannien: Hier wurde Captain James Cook geboren, hier lernte er sein Handwerk. Foto: Oliver Abraham
Yorkshire an der Ostküste Englands, Grossbritannien: Hier wurde Captain James Cook geboren, hier lernte er sein Handwerk. Foto: Oliver Abraham

Captain James Cook wurde im englischen Yorkshire geboren

Hier, in Whitby an der Nordsee, lernte James Cook sein Handwerk. James Cook wurde in Yorkshire geboren (und starb auf Hawaii), der Seefahrer und Entdecker erforschte vor allem den Pazifik. Seine seemännische Laufbahn begann er in Whitby – hier war ein Schiffseigner ansässig, der mit Frachtern den Transport von Kohle zwischen Newcastle und London bediente. Seine Liebe und Leidenschaft für das Meer allerdings entflammte ein paar Kilometer weiter nordwestlich – in dem kleinen Dorf Staithes: Dort ging James Cook in die Lehre eines Händlers. Die Fernstraßen im 18. Jahrhundert waren schlecht, überregionaler Handel ließ sich am besten per Schiff bewältigen, so wurde aus dem Fischernest Staithes schnell ein kleiner, aber lebendiger Hafen.

Captain James Cook, 1728-79, Quelle: Wikipedia/National Maritime Museum, United Kingdom
Captain James Cook, 1728-79, Quelle: Wikipedia/National Maritime Museum, United Kingdom

Cook wollte schon als 16jähriger Seemann werden

Der 16jährige James Cook hatte einen Traum: er wollte Seemann werden, nicht im Laden bleiben. Die Dielen im Haus knarren unter bedächtigem Schritt, vor den Fenstern Vorhänge, die trotzdem immer wieder einen Blick nach draußen erlauben, dies ist ein Ort, an dem die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Eine Atmosphäre jener Jahre, das Tuten eines Schiffshorns draußen vom Hafen und der Nebel, der in den Gassen liegt. An den Wänden alte Karten von der Welt, wie man sie sich gebietsweise vorstellte, bevor James Cook von hier aufbrach und vorwiegend den Pazifikraum entdeckte. Dieses Haus war Büro und Wohnung seines Lehrherrn und des Schiffseigners, direkt am Hafen gelegen natürlich. Man wandelt durch den Haushalt einer Familie in deutlich gehobener Stellung des 18. Jahrhunderts, dann steht man in den Räumen vor den Dokumentationen der Reisen James Cooks: Karten, Zeichnungen, Gemälde, Schiffsmodelle.

Yorkshire, Ostküste England, Grossbritannien. Ein Besuch in Whitby, im Captain Cook Memorial Museum und eine Wanderung entlang des Fernwanderweg Cleveland Way. Foto: Oliver Abraham
Yorkshire, Ostküste England, Grossbritannien. Ein Besuch in Whitby, im Captain Cook Memorial Museum und eine Wanderung entlang des Fernwanderweg Cleveland Way. Foto: Oliver Abraham

Fernwanderweg Cleveland Way

Was für eine Stimmung, was für ein Gefühl des Aufbruchs. Auf nach Staithes also, dorthin, wo alles begann mit der Liebe zur See des jungen Cook. Entdeckerlust ist geweckt, hier und heute zum Wandern an dieser Küste. Der Fernwanderweg Cleveland Way verlässt Whitby und folgt einem langen Strand gen West, hinter Sandsend klettert die Küste wieder in den Himmel. Ein Fasan startet mit kreischendem, stotternden Staccato, Ginster blüht und lieblich ist es. Ist es erst – dann folgt eine Mondlandschaft: eine Gegend leer und öd wie abgeräumt, grau wie Asche, kahle Kuppen, ein seltsamer, surrealistischer Raum. Relikte von früherem Berg- und Tagebau, die an manchen Stellen an der Küste noch zu sehen sind.

Vogelrufe in der Luft

Rasch geht es jedoch weiter im Normalzustand – Gras und Weide bis zum Horizont, Schlehe, Ginster, Weißdorn, als Hecke und als Gebüschinseln, mancher Baum vom ewigen Wind verbogen, der Wanderweg vor hüfthoher Feldmauer, und in der Luft Vogelrufe – Lerche hier und Seevögel wie Tölpel und Eissturmvogel dort. Ein Hahn schreit und es riecht nach dem Rauch eines Kohlenfeuers – vermischt mit der frischen Brise und dem Duft nach Schaf und Meer ein ganz wunderbares Aroma. Auch hier werden kleine Bäche gequert, die bald über die Klippe stürzen. Manch Wasserfall erreicht kaum die Nordsee, der Wind verweht sein Wasser aus dem freien Fall. Dunst und Nebelbänke liegen über der See, hier oben ist es freundlich, unten kocht über Riffen und Felsen die Brandung. Die Nordsee beginnt sich zurückzuziehen, erster Meeresboden fällt frei, an manchen Stellen blinkt der Sand verschwiegener Strände. Absteigen sollte man nur, und wirklich ausschließlich dann, wenn der Weg hinunter ausdrücklich ausgewiesen ist.

Der Blick auf die Bucht. Foto: Oliver Abraham Runswick Bay, Yorkshire, England.
Der Blick auf die Bucht. Foto: Oliver Abraham
Runswick Bay, ein Badeort wie aus dem Bilderbuch

Hier zum Beispiel, ein Wanderweg führt runter nach Runswick Bay, einem Badeort wie aus dem Bilderbuch. Der Blick fällt auf eine große Bucht, auf einen weiten Strand. Die Schritte schlagen über ausgetretene Stufen steil hinab in ein Tal. Hier unten ist es still, kein Wind, kein Meeresrauschen. Stattdessen feine Töne, andere, Vogelstimmen und das Gesumme von Insekten. Büsche, Weiden, kleinteiliges Landschaftsmosaik am Hang. Dann ist doch wieder das Geräusch von Wasser zu hören: tosend, ein anderes Rauschen als das des Meeres. Nach den Regenfällen der vergangenen Tage sind die Bäche randvoll. Die kleine Schlucht wirkt jetzt wie hineingefräst ins Land, steil und roh die Flanken, schwarz die Steine. Hänge in den Farben von Rost und Ocker, creme und weiß. Eine schroffe Schlucht; keine Pflanzen, nur Steine, Schutt und Schotter.

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Steilküste und Felswände. Foto: Oliver Abraham
Steilküste mit seltsamen Löchern

Der Pfad wird schmal am steilen Hang, immerhin gibt es eine Treppe und eine Brücke. Der Bach rast auf seinen allerletzten Metern zum Meer über schieren Fels, schäumend und schmutzig. Dann öffnet sich die Bucht, Blick und Bach und Beine laufen aus in großem, leerem Raum, so, als ob etwas geschafft wurde, kommen zur Ruhe. Runswick Sands. Und das Wetter klart auf, so, als ob das ablaufende Wasser die Wolken mitnehmen würde, raus auf See. Dieser Strand gehört zu den schönsten der ganzen Insel, ist im wahren Wortsinn ausgezeichnet. Umrahmt von Steilküsten und im Süden, in der Felswand, sind seltsame Löcher, dunkle Höhlen – Hob Holes heißen die.

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Einst tollten hier Kobolde. Foto: Oliver Abraham
Ort des Spuks

Wohnsitz der Kobolde, Ort des Spuks. Eltern, so die Sage weiter, brachten einst ihre Kinder her wenn sie Keuchhusten hatten; rezitierten Reime und hofften auf Genesung. Hineingehen soll man in die Koboldhöhlen nicht, es kann Gestein von der Decke stürzen. Viel wahrscheinlicher als eine Heimstatt der Zwerge ist wohl der frühere Abbau des schwarzen Halbedelsteins. Ehemaliger Abbau von Gesteinen prägt stellenweise diese Küste (Mondlandschaft), auch der Mensch gestaltete die Landschaft punktuell mit. Alaun wurde hier in großem Umfang abgebaut, bis vor gut 150 Jahren passierte das, die Textilindustrie brauchte es. Im 16. Jahrhundert ging es los: das abgebaute Material wurde noch vor Ort in einem monatelangen Prozess aufbereitet. Dazu brauchten die Leute Feuer, und sie brauchten dazu menschlichen Urin – zu besten Zeiten 200 Tonnen davon pro Jahr. Der Urin wurde sogar aus London und Newcastle herangeschafft; an den Straßen standen Eimer, öffentliche Bedürfnisanstalten entstanden. Wer es nicht glauben mag: nationaltrust.org.uk/yorkshire-coast/features/how-alum-shaped-the-yorkshire-coast

Wohnsitz der Kobolde

Abwechslungsreich ist dieser Weg auch wegen seiner Geschichten am Rand; es ist schön und schroff gleichermaßen, überraschend und vielseitig. Ein Gegensatz an der wilden Küste ist auch Staithes, wo die Karriere des Captain Cook begann, ein schmucker Ort, die Häuser zwischen Land und Meer gezwängt. Hier das Rohe und Wilde, dort das Hübsche und Heimelige. Fünfzig Meter oberhalb des Ortes gibt es einen schönen Blick auf das alte Fischernest – Boote liegen auf dem inzwischen trockengefallenen Boden des Hafenbeckens, zwei lange Dämme schützen den Ort vor der Gewalt der Nordsee, das Dorf ist verschachtelt, seine Wege verwinkelt.

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Yorkshire, eine Wanderung entlang des Fernwanderweg Cleveland Way. Foto: Oliver Abraham
Steine kollern und klappern

Die See zieht sich immer weiter zurück, ausgedehnte Flächen Meeresboden sind nun auch vor Staithes freigefallen. In Rinnen und kleinen Schluchten läuft das Wasser der Nordsee hinterher, Steine kollern und klappern. Es ist eine Zwischenwelt; noch nicht Meer, nicht mehr Land. Auf das Rohe reduziert und wie zu Anbeginn der Zeit, nur dass hier zwei Mal am Tag Genesis ist. In den verbliebenen Gezeitentümpeln übt erstes Leben den Landgang; manche Kreatur überlebt Wasser wie Luft, hell wie dunkel, heiß wie kalt. Muscheln kleben bombenfest am Stein, Krebse machen sich auf den Weg, Tang liegt herum und wogt bald schon wieder in den Fluten.

Gestein akkurat gewinkelt wie ein Bauwerk

Der Gang durch diese Welt ist ein sonderbarer. Hier glatter schwarzer Fels wie Straßenpflaster, dort rötlicher und weißer Stein sanft geschwungen und gewellt wie eine erstarrte Düne, draußen wachen Felsnadeln in der Brandung, hier klettert man über Gestein akkurat gewinkelt wie ein Bauwerk. Man möge sich vor Ort vorher erkundigen, ob man hier unterwegs sein kann, darf oder sollte. Gewiss ist, dass es nur ein knappes Zeitfenster gibt, bevor das Meer zurück kommt und alles wieder untergeht und der Aufenthalt unter den Felswänden der Steilküste gefährlich ist der ewigen Erosion wegen. Würden Dinosaurier hier umher laufen, wundern täte es nicht, sieht es doch aus wie zur Erschaffung der Welt – wüst und leer.

Tatsächlich sind hier in Yorkshire Dinosaurier unterwegs gewesen, die Küste Englands ist berühmt für Fossilienfunde. Foto: Oliver Abraham
Tatsächlich sind hier in Yorkshire Dinosaurier unterwegs gewesen, die Küste ist berühmt für Fossilienfunde. Foto: Oliver Abraham

Tatsächlich sind hier Dinosaurier unterwegs gewesen, diese Küste ist berühmt für ihre Fossilienfunde. Interessant auch deshalb ist das Whitby Museum (whitbymuseum.org.uk) Sogar eine versteinerte Fischechse, eine Art Krokodil, tauchte vor der Küste von Yorkshire wieder auf, auch versteinerte Spuren von Dinosauriern.  Ammoniten – eine Art versteinerte Schnecken – sind so selten nicht. Die Flut kommt. Die Brandung scheint lauter zu dröhnen, Wasser gluckst durch die Rinnen, jetzt in die umgekehrte Richtung, die gellenden Schreie der Möwen werden von den Felswänden wie höhnisches Gelächter zurückgeworfen. Gischt und Brandung gleißen im Licht der tiefstehenden Sonne vor dunklem Himmel, düster und dramatisch. Die Lichter der Häuser von Staithes leuchten, locken heimwärts, ein fahler Schein im aufziehenden Nebel. Das Cod & Lobster, ein feines Gasthaus, ein Pub, steht hart am Wasser und die Karte verspricht Köstliches aus dem Meer. Dem Meer, auf dem James Cook einst sein Handwerk lernte. An dem Ort, von dem er einst aufbrach, die Welt zu entdecken.

Diese Reise wurde unterstützt vom Britischen Fremdenverkehrsamt Visit Britain (visitbritain.com). Informationen zum Wanderweg Cleveland Way: nationaltrail.co.uk/de_DE/trails/cleveland-way   Tipp: In Staithes werden auch Bootsausflüge angeboten, zum Beispiel von  realstaithes.com          

– Alle Angaben ohne Gewähr. Dieser Bericht stellt keine Wertung untereinander und / oder gegenüber anderen Unternehmen, Personen, Waren oder Dienstleistungen o.Ä. dar und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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