von Oliver Abraham

Brig. Schweiz. Märjela ist ein breites Tal im Schweizer Kanton Wallis. Die scharfen Pfiffe der Murmeltiere wehen über die felsigen Flanken der Berge zwischen dem Fiescher-Gletscher und dem Großen Aletsch. Wanderleiter Edelbert – Ed – Kummer führt seine Gäste den Abstieg vom Tälligrat hinunter. Wir suchen Eishöhlen.

Auf der der Suche nach magischen Eishöhlen am Schweizer Aletsch Gletscher.
Die scharfen Pfiffe der Murmeltiere wehen Ÿüber die felsigen Flanken der Berge zwischen dem Fieschergletscher und dem Großen Aletsch. Wanderleiter Edelbert – Ed – Kummer füŸhrt seine GäŠste den Abstieg hinunter. Foto: Oliver Abraham

Es ist Sommer in den Bergen, der würzige Duft der Bergwiesen liegt in der Luft, doch spürt man auch den eisigen Hauch der großen Gletscher. Mächtige Eisströme noch immer, hier im Kanton Wallis. Dann kommt das gewaltige Eis in Sicht – grau, mit Schutt, weiß ist es auch. Im Westen blinken die Märjelen-Seen, dann geht es weiter hinab. Wir wollen nicht auf den Gletscher, wir wollen da mal rein. In Höhlen, ins Eis, magisches Blau erleben. Ed weiß, wo das geht. Aber, schränkt er gleich ein, es geht nicht immer, nicht überall, und auch nicht unbedingt dort, wo es im vergangenen Jahr, vorige Woche, wo es gestern noch ging.

Gletscher sind in Bewegung

Das einzig Beständige eines Gletschers ist seine Veränderung. Alles ist im Fluss, Gletscher sind in Bewegung. Und am schwierigsten ist es, überhaupt an sie heran zu kommen – knifflig, und ohne qualifizierte Führung: ziemlich gefährlich, ist der Übertritt von Grund und Boden an das Eis. Das schrammt mit ungeheurer Kraft an den Felsen vorbei; splittert, reißt und bricht. Bäche von den Bergen stürzen weiß und wütend in Löcher und Spalten dieses Eises.

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Ed Kummer ist 84 Jahre alt und seine Erfahrung und sein Wissen sind die Basis für tiefes Vertrauen. Foto: Oliver Abraham

Vertrauen in Erfahrung und Wissen

Wir wissen nicht, was uns erwartet. Was wir tun können, ist der Erfahrung und dem Wissen von Ed zu vertrauen. Er ist 84 Jahre alt und man ist froh, mithalten zu können, wenn es mit ihm in die Berge geht. Gletscher kommen aus dem Hochgebirge. Aus dem dort, Jahr für Jahr, gefallenen Schnee wird Firn, wird irgendwann Eis, mehrere hundert Meter mächtig, beginnt die Masse bergab zu rutschen. Oben ist das Nährgebiet, dort, wo der Schnee fällt, unten ist das Zehrgebiet, dort, wo das Eis taut. Dazwischen, im Falle des Aletsch-Gletschers mehr als 22 Kilometer, eine Menge Eis in all seiner Faszination. Der Fiescher-Gletscher, ein anderer Eisstrom in dieser Gegend, fließt mit einem Eissturz aus den Bergen, zerrissen und zerbrochen ist das Eis dort, wo es über die Kante geht. Wir sehen das aus sicherer Entfernung und folgen einem Bach weiter hinunter. Gletscher-Eis ist phantastisch und ein blaues Wunder werden wir erleben.

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Die Natur allein bestimmt das Programm, wer etwas erleben möchte, sollte Zeit mitbringen und Geduld. Auch das heißt Respekt vor der Natur; Warten zu können. Der Abstieg an den Rand des Aletsch ist fordernd und anstrengend. Foto: Oliver Abraham

Wir klettern über Felsen und queren Brücken aus dem Schnee des vergangenen Winters, begleiten wildes Wasser. Bleiben stehen, als Ed es uns sagt, gehen weiter, wenn er es für sicher hält. Wir nähern uns dem Aletsch. Der Bach verschwindet im Eis, ihm zu folgen, erscheint nicht nur den Wanderkameraden unmöglich, Ed sieht das genauso. Keine Chance. Nicht hier und auch nicht heute. Zwar ist dieses Portal eine riesige Öffnung ins Eis, aber die Decke hängt bedenklich durch. Risse überall, einsturzgefährdet. So sei die Natur, meint Ed. Hingehen könne man allemal, aber ob hinein, das wisse auch er selbst erst dann, wenn er davor stehe. Ed kennt noch andere Stellen am Gletscher, andere Eingänge ins Eis. Das ist der Plan für den morgigen Tag.

Respekt vor der Natur

Die Natur allein bestimmt das Programm, wer etwas erleben möchte, sollte Zeit mitbringen und Geduld. Auch das heißt Respekt vor der Natur; Warten zu können. Der Abstieg an den Rand des Aletsch ist fordernd und anstrengend, es geht von Moosfluh im Urlaubsgebiet Aletsch-Arena steile 400 Höhenmeter hinab. Je tiefer man kommt, desto unübersichtlicher wird das Terrain. Zuletzt nur noch Steine und Schutt. Schrammen auf schierem Fels zeigen, dass hier – und so lange ist das noch nicht her – Eis mit ungeheurer Kraft floss. Keine Frage, das Eis zieht sich zurück, Gletscher schwinden, und das in bedenklichem Tempo. Betrachtet man diese Veränderung in längeren Zeiträumen, wird klar – so ewig wie es scheint, ist auch dieses Eis nicht. Aber es ist – noch – genug da, um es in allen Facetten zu erleben.

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Wanderleiter Ed Kummer prüft das Gelände. Foto: Oliver Abraham

Ed klettert auf eine Felskanzel und blickt auf den Rand des Gletschers. Es sieht gut aus. An dieser Stelle kenne er mehrere Höhlen, deren Zugänge wollen wir uns anschauen. Bald stehen wir in einer komplett auf das Rohe reduzierten Umgebung, Fels, Sand, Wasser, Eisreste, und vor einem See, dessen Wasser milchig ist, türkis. Schmelzwasser, das leider auch die Höhle dahinter bis zur Decke hat volllaufen lassen. Ed hatte gehofft, dass es inzwischen abgelaufen sei. Wieder nicht und weiter geht es über Staub, das waren Steine, die das Eis des Gletschers fein gemahlen hat. Wir queren Geröllhalden und klettern über Felsen. Mit einem Seil sichert der Wanderleiter diese letzte Passage, unten verschwindet ein kleiner Bach im Eis, dem folgen wir und stehen dann vor einem anderen Eingang ins Eis. Und müssen warten, weil Ed auch diese Höhle genau inspiziert. Wie sieht die Decke aus? Sicherheit geht vor, auch wenn wir noch so gerne dort hinein wollen.

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Sicherheit geht vor, immer wieder muss genau inspiziert werden. Foto: Oliver Abraham

Dann hören wir das, was wir zu hören hofften – es geht! Nach und nach können die Gäste den Höhleneingang an einer Seite, und nur an dieser, passieren. Gegenüber sieht das Eis an der Decke brüchig aus. Spannend bis spektakulär, ein bisschen spooky. Ed vorneweg. Wir kriechen über Felsen, sind bald nass und dreckig, die Schritte schmatzen im Matsch, Wasser rinnt noch über schieren Fels und bald über blankes Eis, es tropft, es gurgelt und plätschert irgendwo tief im Inneren des Eises. Es ist unheimlich und beglückend gleichermaßen.

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Stumm und staunend steht man vor, ist man in diesem Eis. Foto: Oliver Abraham

Wir stehen in einem dämmerigen Zwielicht, erschauernd ist der Atem des Eises, der eigene steht vor dem Gesicht. Man muss auf den letzten Metern immer mehr aufpassen und auf seine Schritte schauen. Nicht auf das Eis, noch nicht. Eine kurze Strecke nur noch, dann ist Zeit für Faszination, dann erst ist man wirklich angekommen. Es ist überwältigend. Diese Grotte ist …, es ist unglaublich. Phantastisch. Stumm und staunend steht man vor, ist man in diesem Eis. Und was für Farben! Türkis und Azur, Eis wie ein Edelstein – Saphir und Aquamarin. Blau, das sich nicht annähernd beschreiben lässt, das man erleben muss. Unglaublich sonst. Die Stimmung ist andächtig, die Schönheit unbegreiflich. Eine sonderbare, sehr selten zu erlebende und umfassende Ruhe. Auch das Bächlein ist stiller geworden.

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Fast verstörend hingegen ist die Kälte und die Härte des Eises. Foto: Oliver Abraham

Form und Farbe in vollkommener Harmonie

Fernes, feines Tropfen und sein kristallen klar klingendes Fließen verstärken die Ruhe im Eis. Form und Farbe in vollkommener Harmonie. Das Eis leuchtet in überirdischer Kraft. Fast verstörend hingegen ist die Kälte und die Härte des Eises. Um sich zu vergewissern, Körper und Geist wirken ein wenig losgelöst und von der Realität seltsam entkoppelt, scheinen die Hände das Eis beinahe zwangsläufig berühren zu wollen. Unfassbar bleibt es trotzdem. Je tiefer man in das Eis gelangt, desto dunkler werden die Blautöne.

Phantastische Farbspiele

Über dem Höhleneingang sind es vielleicht zehn Meter, schätzt Ed. Je dicker das Eis ist, desto mehr Spektren des Lichts filtert es, hauptsächlich und zuerst rote Töne. Mehr und mehr Blau bleibt übrig, gefrorenes Wasser selbst ist natürlich völlig farblos. Das ist Physik, die Farbspiele sind phantastisch. Der gefahrlos begehbare Teil dieser Höhle ist nach weiteren zwanzig, dreißig Metern zu Ende, mehr lässt Ed nicht zu. Der Bach verschwindet in der Tiefe, ganz fern hört man Wasser rauschen, ganz leise. Es wird zunehmend dunkler, dunkelblauer, wie ein Abend, der in die Nacht wechselt. Farbe und Licht schwinden.

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Je dicker das Eis ist, desto mehr Spektren des Lichts filtert es, hauptsächlich und zuerst rote Töne. Mehr und mehr Blau bleibt übrig, gefrorenes Wasser selbst ist natürlich völlig farblos. Foto: Oliver Abraham

Im Eis der Höhlendecke sind erstarrte Wellen zu erkennen, wie wehende Gardinen. Wie Wolken, aus denen einst der Schnee fiel, der dieses Eis nährte. Bevor das Flüchtige zu Form und Farbe wurde. Von der Zeit und von der Kraft verdichtet. Was so statisch wirkt, ist doch nur stille, schöne Symphonie für einen Augenblick. Alles ist in ewiger Transformation. Dieses Eis wird weiter ziehen, zu Wasser werden und verdunsten, vielleicht abermals als Schnee vom Himmel fallen und zu Eis werden. Wird auf seinem Weg jetzt den Fels mitnehmen, der in der Decke eingefroren ist. In einem eisigen, indigoblauen Höhlenhimmel und der darin seltsam und surreal zu schweben scheint. Für diesen einen magischen Moment.

Information:

  • Von Ed Kummer geführte Wanderungen auch an den Rand des Aletsch-Gletschers mit der Möglichkeit, eine Höhle im Gletschereis zu besichtigen: wandersport.ch
  • Informationen zum Urlaubsgebiet Aletsch Arena (auch zu Exkursionen auf den Gletscher): aletscharena.ch
  • Informationen zum Reiseland Schweiz: myswitzerland.com   
            –     Diese Reise wurde unterstützt von Schweiz Tourismus
    Alle Angaben ohne Gewähr. Dieser Bericht stellt keine Wertung untereinander und / oder gegenüber anderen Unternehmen, Personen, Waren oder Dienstleistungen o.Ä. dar und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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