Von Oliver Abraham

Gersfeld, Rhön. Nebelschwaden liegen über dem Moor. Sie steigen auf aus dunklem Wasser und wehen über eine amphibische Landschaft – Tümpel und tückische Tiefen, Morast und einzelne verkrüppelte, ertrunkene Bäume darin. Nebel in einer Landschaft, die ohne Wege ist, und tückisch.

Düster und schaurig, Orte der Illusion, Moore in der Rhön. Foto: Oliver Abraham
Düster und schaurig, Orte der Illusion, Moore in der Rhön. Foto: Oliver Abraham

Moore sind Orte voller Mystik und Magie

Tritt man auf das, was man irrtümlich für festen Boden hält, so wippt und schwankt der Untergrund, jeder Schritt gemahnt an das Trügerische. Darunter metertiefes Wasser und daneben hektarweites Moor vollgesogen mit Regen. Von dem allein das Hochmoor lebt, das Regenmoor. Und wo man die Winterregen im Wasserkörper spürt mit einer sonderbaren Kühle.

Die Ufer an den Moorseen sind oft keine, die Pflanzen schwimmen schon auf dunklem Wasser, das die Farbe von dünnem, schwarzen Tee hat und sauer ist wie Zitronensaft. Auch deshalb darf man die genehmigten Wege im Moor niemals verlassen, möchte nicht so enden wie die Moorleichen im Museum – mit schwarzer Haut und rotem Haar. Die Wege im Moor sind zumeist Bohlenwege und verlegt sind sie so, wie es vor tausend Jahren auch schon gemacht wurde, wenn es gar nicht anders ging und der Weg durch das Moor beschritten werden musste.

Metertiefes Wasser, das Moor ist vollgesogen mit Regen. Foto: Oliver Abraham
Metertiefes Wasser, das Moor ist vollgesogen mit Regen. Foto: Oliver Abraham

Moore üben eine seltsame Faszination aus

Freiwillig kam niemand her; zu arm, zu abgelegen und viel zu gefährlich. Was wollte man hier schon? Wozu sollte es gut sein, außer für rituelle Hinrichtungen und Begräbnisse, als Versteck. Moore waren Meideräume und was für Legenden rankten sich darum. Es geht eine seltsame Faszination von dem Raum aus, den man kaum begreifen kann, wo Pflanzen Fleisch fressen und Augenstecher fliegen. Die Bohlenwege ins Moor schwimmen darauf, sie sind oft ein wenig schief und wirken wie verbogen. Des unsicheren Untergrundes wegen und selbst auf den asphaltieren Autostraßen kann man das bei der Anfahrt zu manchem Moor spüren.

Die Rhön ist Heimat schaurig-schöner Moore. Foto: Oliver Abraham
Die Rhön ist Heimat schaurig-schöner Moore. Foto: Oliver Abraham

Das Rote und das schwarze Moor in der Rhön

Das Rote Moor in der Rhön ebenso wie das nahegelegene Schwarze Moor sind solche seltsamen und schaurig-schönen Orte, solche voller Mystik und Magie. Seit Jahrtausenden ist es so, genährt durch die hier reichlich fallenden Niederschläge, über seine Umgebung aufgewachsen. Das ist typisch, sie liegen wie ein Uhrglas auf der Landschaft. Pro Jahr wächst ein intaktes Hochmoor im Idealfalle einen Millimeter, sein Baumeister ist das Torfmoos. Das hält das Wasser, man kann es ausdrücken wie einen nassen Badeschwamm. Die schweren Schauer der vergangenen Tage haben sich verzogen, um die Kuppen der Rhön branden Wolken. Von den Zweigen und Blättern der das Moor umgebenden Wälder tropft es.

Orte voller Magie: Moore in der Rhön. Foto: Oliver Abraham
Orte voller Magie: Moore in der Rhön. Foto: Oliver Abraham

Zwielicht über dem Moor

Es ist Abend geworden und längst legt sich die Dämmerung mit ihrem Zwielicht über das Moor. Es ist klar und frisch, die Sonne bricht endlich durch und die Wassertropfen in den Spinnennetzen zwischen dem Heidekraut funkeln im letzten Licht. Der Bohlenweg führt an den Rand des Moores durch einen Wald aus Birken mit bizarrem Wuchs, deren bleiche Stämme auf grünem Grund stehen wie eine Armee Gespenster. Birken, Haselstrauch und Ahorn begleiten den einsamen Wanderer auf dem Bohlenweg durch den lichten Wald am Rand des Moores zu den Aussichtspunkten.

Feine Vogelstimmen sind zu hören. Moore sind auch Orte der Illusionen; das Zarte und Liebliche der Vogelrufe, das Lichte und Helle dieser Atmosphäre am heutigen Abend, es wirkt wie fehl am Platze, es scheint nicht her zu passen. Immer wieder gemahnt ein kühler Hauch daran, wo man hier unterwegs ist. Und die Gänsehaut kommt nicht allein der Temperatur wegen. Da! Da war er wieder, dieser obskure Ruf; kehlig, krächzend, düster.

Meist führen Bohlenwege durch das Moor, wie hier in der Rhön. Foto: Oliver Abraham
Meist führen Bohlenwege durch das Moor, wie hier in der Rhön. Foto: Oliver Abraham

Leere und Einsamkeit im Moor

Die Schritte auf dem Bohlenweg klingen hohl, längst ist der Wald zurückgewichen und nur einzelne Birken und Eichen stehen noch am Rand des Moores, Wind wispert in den Zweigen. Und immer wieder Vogelstimmen, zwar deutlich noch zu hören, aber nun schon fern. Es ist eine behütende Stille und auch in den Ästen der Bäume hängen nun Spinnenweben. Glitzernd im letzten Licht, verzaubert von Regen und Nebel. Wolken ziehen auf, sie bringen Regen mit und man spürt nun in unmittelbarer Nähe der offenen Moorfläche die Macht der Elemente; die vom Wind und die vom Regen, eine Melancholie genährt von Leere und Einsamkeit.

Birken liegen im großen Torfmoor. Foto: Oliver Abraham
Birken liegen im großen Torfmoor. Foto: Oliver Abraham

Verloren fühlt man sich und versteht, warum die Legenden an Orten wie diesen nicht nur entstanden sind, sondern weiterleben. Und kann nachvollziehen, warum die Leute (anderswo) harmlosen Moorbewohnern wie Libellen den Namen Augenstecher gaben. Aus Angst vielleicht vor solch krassen Kreaturen, die an Orten wie diesen leben, im Unheimlichen. An Orten manchmal ohne Wiederkehr.

Wasser und kleine Inseln im Moor. Foto: Mario Vedder
Wasser und kleine Inseln im Moor. Foto: Mario Vedder

Moorseen wie Fenster in die Unterwelt

Moore waren Meideräume nicht ohne Grund. Auf sicherem, ausgewiesenem Weg ist es heute ein Gang mit gemütlichem Grusel und Rückkehr. So man auf den Pfaden bleibt, es gibt Moore, die sind zehn Meter tief und mehr. Die Stimmung ist schön und schaurig gleichermaßen, eine von mächtiger Weltverlorenheit. Dass die frühen Menschen an Orten wie diesen den Kontakt, den Zugang zu Übersinnlichem, zur Anderswelt, dem Jenseitigen, gesucht haben, verwundert auch nicht. Moorseen liegen zwischen den Moospolstern wie Fenster in die Unterwelt.

Es wird kühl, vom Weg ist erstes offenes Wasser zu sehen, man spürt es – eine Kälte, das sich Auflösende, das Tückische der dicken, saftigen Moospolster unter denen doch nur Tiefe lauert. Birken liegen am Boden, ertrunken und zerbrochen, schon von Moos überwuchert. Vogelbeeren locken und leuchten in der beginnenden Dunkelheit. Der Ruf eines Raben hallt erneut zwischen den Bäumen und verliert sich über dem leeren Raum; düster und geheimnisvoll. Regen weht wie dunkle Gardinen über der Weite, die Flechten an den Bäumen hängen daran wie nasse Bärte.

Ein Wald am Rande des großen Torfmoors. Foto: Oliver Abraham
Ein Wald am Rande des großen Torfmoors. Foto: Oliver Abraham

Die Nacht ist die Zeit der Fledermäuse

Zwischen den Stämmen des lichten Waldes am Rande des Moores verliert sich der drängende, lockende Ruf eines obskuren Nachtvogels – die Rufe sind immer woanders und nie kommen sie näher. Klagend klingt ein anderer Ruf, pfiü-pfiü-pfiü. Man hört sie nie und hört sie nur. Was ist Illusion im Moor, was Wirklichkeit? Es ist dunkel geworden, und die Nacht ist die Zeit der Fledermäuse, sie beginnen in der Dämmerung zu jagen. Auch Uhus. Schaurig ist der Ruf des Waldkauzes.

Lange galten Moore als Stätten des Unheils und ziemlich verrücktes Zeug konnte in Mooren passieren: So berichtet der Heimatforscher Franz Jäger zu Beginn des 19. Jahrhunderts von „Entzündungen brennbarer Materie“ im Roten Moor, die in schwülen Sommernächten auf dem Moor „gleich schönen brennenden Lichtern herumirren“. Gar nicht selten sei dies vorgekommen. Hat er Irrlichter gesehen? Irrlichter, die Leute ins Moor gelockt haben, ins Verderben. Und waren da eben nicht frohe, liebliche Vogelrufe?

Eine Birke am Rande der Moorlandschaft. Foto: Oliver Abraham
Eine Birke am Rande der Moorlandschaft. Foto: Oliver Abraham

Moore sind ökologisch höchst komplex

Wer weiß, was man sehen und hören will, wenn man hier seinen Weg verloren hat. Von verschwundenen oder ertrunkenen Menschen, gar von versunkenen Dörfern, ist im Roten Moor zwar nichts bekannt, aber die Sage vom einem verlorenen Ort hält sich hält sich hartnäckig. Die vom geraubten Schatz, der darauf folgenden göttlichen Strafe und jungfräulicher Tugendhaftigkeit, das nahe Schwarze Moor hat eine sehr ähnliche Legende. Im 16. und 17. Jahrhundert allerdings gab es am Rand des Roten Moores tatsächlich eine Siedlung, die allerdings aus ganz weltlichen Gründen (Krieg) verloren ging. So, wie die meisten Moore selbst.

Moore sind ökologisch wertvolle Lebensräume, dort lebt eine sehr spezielle – und hochspezialisierte – Tier- und Pflanzenwelt. Einst gab es, vor allem nördlich der Mittelgebirge, große Moorgebiete und das meiste davon ist verschwunden; es wurde trockengelegt und der Land- sowie der Forstwirtschaft überstellt. Längst weiß man um den Wert und das Besondere der Hoch- und Niedermoore, zahlreiche Revitalisierungsmaßnahmen finden bundesweit statt – und die gute Nachricht ist: ein großer Teil der ehemaligen Moore kann wiederbelebt werden.

Moore stehen unter strengem Schutz

Und natürlich gibt es noch Moore, die die Zeiten überdauert haben; sie stehen unter strengem Schutz und in der Regel bieten die betreuenden Naturschutzorganisationen und die Stationen vor Ort Führungen an bzw. genehmigte Wege ermöglichen ein eigenes Erkunden. Allein aus Gründen des Tier- und Pflanzenschutzes dürfen die erlaubten Pfade nicht verlassen werden. Es gibt zwei Arten von Moor: Ein Hochmoor wird nur vom Niederschlag gespeist (und heißt deshalb auch Regenmoor), ein Niedermoor hat Anbindung an das Grundwasser und Oberflächenwasser von Flüssen und Seen.  

Das große Torfmoor ist ein Hochmoor und wird nur von Niederschlag gespeist. Foto: Oliver Abraham
Das große Torfmoor ist ein Hochmoor und wird nur von Niederschlag gespeist. Foto: Oliver Abraham
Das Große Torfmoor (Nordrhein-Westfalen)

Vor rund fünfzig Jahren besann man sich im Kreis Minden-Lübbecke (NRW) der Besonderheit des Großen Torfmoores und begann mit seinem Schutz. Heute führen Bohlenwege in das Herz des Hochmoores, von wo aus man über eine karge und wildromantische Landschaft blickt: Schlenken (das sind die Wasserlöcher im Moor) und Bülten (das sind die kleinen Inseln aus Moos darin) wechseln sich ab, knorrige, einzelne, Eichen stehen darin. Am Rand des Moores steht ein bizarrer Wald aus ertrunkenen Bäumen in einem See aus unergründlich dunklem Wasser. Hier gibt es auch eine genehmigte Stelle, mit Geländer drumherum, wo man mal auf ein nasses Stück Moor treten darf – und man lernt, dass man dort hinein in freier Wildbahn gewiss nicht geraten möchte. moorhus.eu

Das Große Moor (Niedersachsen)

Besonders faszinierend ist der späte Herbst im Großen Moor bei Vechta: Hier sammeln sich jedes Jahr tausende Kraniche vor ihrem Weiterflug in die Überwinterungsgebiete. Je nach Wetterlage stauen sich die Vögel im Moor – in manchen Jahren mehr als 20.000 Kraniche. Tagsüber suchen sie in der Umgebung nach Nahrung, abends fliegen sie zur Übernachtung in die nassen Gebieten ein (dort sind sie vor Räubern geschützt). Geschwader fliegen ein in ihrer typischen Formation im Gegenlicht der untergehenden Sonne. Man hört die trompetenhafte Rufe der Kraniche meist bevor man sie sieht. Sehnsuchtsvoll, melancholisch klingt das an einem Abend im späten Herbst. Dann meint man, ihre Schwingen zu spüren, und plötzlich fallen sie wie auf ein geheimes Kommando vom Himmel und sind auf ihren Schlafplätzen verschwunden. niz-goldenstedt.de

Das Wurzacher Ried (Baden-Württemberg)

Das Wurzacher Ried in Baden-Württemberg ist eines der bedeutendsten Moorgebiete Süddeutschlands und mit seinem weithin noch unberührten Kernbereich gilt es als das größte und intakteste Hochmoor Deutschlands, sogar ganz Mitteleuropas. Auf dem Riedweg, einem Weg durch das Moor, kann man einen Teil dieses Moores selbst erleben, auch Führungen werden natürlich angeboten. Letzte Heide blüht und vielleicht sieht man – mit viel Glück – eine Kreuzotter, die sich in den letzten Sonnenstrahlen auf den Bohlen des Holzweges wärmt. Um Hochmoore vor dem Verschwinden, dem Abfluss des dringend benötigten Wassers, zu bewahren, müssen die früher künstlich angelegten Entwässerungsgräben dichtgemacht werden (das ist die Hauptarbeit bei der Wiederbelebung von Mooren) – im Wurzacher Ried machen das auch Biber. Mit Glück sieht man über dem Riedsee Fischadler. wurzacher-ried.de

Das Grambower Moor (Mecklenburg-Vorpommern)

Das Grambower Moor nahe Schwerin gehört zu den wertvollsten des Bundeslandes, zwar hat Mecklenburg-Vorpommen rund 300.000 Hektar Moorfläche (die meisten hat Niedersachsen) – aber nur rund 3.000-4.000 Hektar davon sind ein Regenmoor. Dieses ist ein Moor wie aus dem Bilderbuch: Im Frühjahr bilden die weißen Bausche vom Wollgras den farblichen Kontrapunkt im dunklen Moor. Wer genau hinsieht, wird den Sonnentau entdecken und an der Pflanze im Licht glitzernde Tröpfchen: mit diesem klebrigen Sekret lockt die Pflanze Insekten ins Verderben – sind sie erstmal hängengeblieben, werden sie langsam verdaut, einen fast exotischen Akzent setzt die Sumpfcalla auf den offenen Wasserflächen – sie blüht weiß und der Fruchtstand ist orange-rot. Weit mehr als 800 Schmetterlingsarten sind gezählt und fast 30 Libellenarten. Nicht immer ist über das Jahre alles zu sehen, aber eben diese Vielfalt auch des Kleinen, macht Moore, macht das Grambower Moor, zu etwas Besondern und Wertvollen. Es fasziniert. grambower-moor.de

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