Von Mario Vedder
Montenegro, Tara-Schlucht. Dieses Grün, dieses Funkeln von Abermillionen Sternen im Gegenlicht, diese friedliche Stille. Geruhsam plätschert das glasklare Wasser des Flusses Tara vor sich hin, eingebettet in tiefgrüne Waldhänge, nichts deutet hier auf atemberaubende Stromschnellen hin, auf Gefälle, auf gefährliche Felsbarrieren, die nur wenige Flusskilometer weiter abwärts warten.
Über 1300 Meter tief hat sich die Tara in den Felsen gegraben
Ich sitze am Ufer an einem der wenigen passierbaren Zugänge gut drei Kilometer flußaufwärts von Budechevitsa und beobachte das Wasser, wie es sanft des Weges zieht. Als „Träne Europas“ bezeichnen die Einheimischen des kleinsten Balkan Landes verklärt ihre Tara, das Wasser ist klar, kalt und sauber, voller Fische und unbedenklich trinkbar. Ein Naturschatz sondergleichen und daher auch von der Unesco als Biosphärenreservat und als Weltnaturerbe eingestuft, als besonders zu schützender Naturraum also.
Von der Unesco als Weltnaturerbe eingestuft
Die Tara ist mit gut 140 Kilometern der längste Fluss Montenegros und hat sich über Jahrtausende mit aller Kraft auf einem rund 80 Kilometern langen Abschnitt im Norden Montenegros einen der tiefsten Canyon der Welt geschaffen – die Tara-Schlucht. Stellenweise über 1300 Meter Höhenunterschied bietet die Schlucht und ist damit die tiefste Europas und auch weltweit ganz vorne. Sie gilt zurecht als der europäische Grand Canyon, spektakulär im Anblick und schwer zugänglich.
Ein Paradies für Kajaktouren, für Rafting, für Touren mit dem Schlauchboot, aber auch für Angler, Fotografen. Auf vielen Abschnitten ist das nur etwas für sehr abenteuerlustige Reisende, die Tara ist wild, Wasserfälle und Kaskaden machen das Befahren des Flusses nicht einfach, dazu kommt ein beträchtliches Gefälle. Gerade im Frühjahr nach der Schneeschmelze ist das kristallklare Wasser extrem hoch und reißend.
Hier an dieser ruhigen Stelle mag ich es kaum glauben, welche Kraft im Wasser steckt. Während sich einige Raftingfahrer fertig machen für ihre Tour und die Boote zu Wasser lassen, klettere ich gemütlich ein Stück am Ufer entlang und bin immer wieder fasziniert vom satten Grün und dem beruhigendem Wasser. Es gibt nicht sehr viele Zugänge zum Fluss, zu tief ist die Schlucht hier schon. Besonders gut zu sehen ist das paar Kilometer weiter mit einem berauschenden Blick über die Schlucht von der Tara-Brücke, die an spektakulärer Stelle die „Träne Europas“ überspannt.
350 Meter lang und 150 hoch ist die Brücke über die Tara
Die Brücke erreicht man von Zabljak über die zum Teil sehr serpentinenreiche M6, vom Süden über die R10 und vom Norden auch über die M6. Die Straßen sind in Ordnung, Tankstellen sind im Nationalpark Gebiet nicht allzu dicht gestreut, aber vorhanden, trotzdem ist rechtzeitiges Volltanken angeraten.
Die Tara entsteht an der albanischen Grenze durch den Zusammenfluss der Flüsse Opasanica und Verusa und führt dann hauptsächlich durch den Durmitor-Nationalpark, ehe sie an der Grenze zu Bosnien Herzegowina eine Zeitlang zum natürlichen Grenzwall wird und dann als Hauptquellfluss in die Drina mündet.
Ein einzigartiger Landstrich
Als ich am Vorabend am Fuße des Bobotov Kuk saß und fasziniert auf den höchsten Gipfel im Durmitor-Gebirge blickte, hatte ich schon ein Ahnung von der Einzigartigkeit dieses Landstrichs, die Tara-Schlucht hatte das jetzt noch einmal mehr als getoppt. Das Licht, die Farben, die Sicht, sanfte Graslandschaften, dann wieder dichter Waldbestand, auf den Gipfeln Schnee, hügelige Hochebenen, blühende Bergweiden. Eingebettet in den weiten Ebenen immer wieder kleine Höfe, manchmal Ansammlungen von kleinen Häusern mit Spitzdach, lokale Bauweisen, die inzwischen auch für den nachhaltigen Tourismus genutzt werden.
Es gibt einige sogenannte Ethno Villages hier im Park, ich bin heute am Fuße des Bobotov Kuk in einer besonders guten, einfachen und rustikalen Herberge unterkommen, im „Etno Solo Sljeme“, wo ich gleich einmal lernen musste, dass man Standard gar nicht mag. Die Frage nach einem meinem Essenswunsch und die nicht ganz ernst gemeinte Antwort mit „Cevapcici vielleicht“ wird fast beleidigt mit dem Hinweis auf die Region abgetan, feines Kotelett mit einer Sauce von Käse und Nüssen aus der Region sei zu empfehlen, dazu gegrillte Pilze – Widerworte quasi zwecklos, und das ohne jegliches Bereuen, es war eines der besten Abendessen der Reise, ohne Zweifel. Neben dem fantastischen Blick auf‘s Gebirge gibt es hier nämlich fantastische Küche.
Unberührte Natur ohne Massentourismus
Der Durmitor-Nationalpark mit der Tara-Schlucht ist Weltnaturerbe der UNESCO und definitiv mehr als nur einen Abstecher wert. Forellen, Adler, Gänsegeier, Bären und Wölfe gibt es hier in faszinierender Landschaft, noch weitestgehend verschont vom Massentourismus. Von Montenegros Adriaküste ist der Nationalpark in drei bis vier Autostunden zu erreichen, einen spektakulären Blick auf die Schlucht hat man von der Tara-Brücke, die die Orte Budecevica und Tresnica verbindet. Die 1941 fertiggestellte 350 Meter lange Brücke spannt sich auf einer Höhe von rund 150 Metern über der Schlucht und bietet zu beiden Seiten atemberaubende Aussichten.
Montenegro, das Land der Schwarzen Berge, ist von der Entfernungen überschaubar, das kleine Land im südlichen Balkan hat vom mondänen Adriaflair bis hin zu Gebirgswanderungen im Durmitor-Nationalpark vieles auf engstem Raum zu bieten. Trotzdem sollte man Zeit einplanen, allein für Raftingtouren auf der Tara mindestens ein paar Stunden. Viel besser aber sind mehrtägige Touren, mit kurzen Landgängen, mit Zeltübernachtung und Lagerfeuer und funkelndem Sternenhimmel. Im Durmitor-Nationalpark kann man Tage mit Wandern verbringen, auf kürzeren Wanderungen zu einem der vielen Seen, beispielsweise dem „Schwarzen See“ Crno Jezero (bei Zabljak, zu Füssen des Meded). Wanderungen unterschiedlichster Etappen und Leistungsniveaus sind möglich, auch Mountainbiker kommen hier voll auf ihre Kosten.
Gut 2500 Meter ist der Bobotov Kuk hoch
Geübten Bergwanderern sei der Aufstieg auf den höchsten Gipfel Bobotov Kuk mit einer Höhe von gut 2500 Metern sehr empfohlen. Aber Vorsicht, hier gibt es keine Bergrettung, Wanderer sind auf sich selbst gestellt. Die Wege sind allesamt gut ausgeschildert, aber zum Teil sehr steil und felsig. Da der Durmitor-Nationalpark durchgehend sehr hoch liegt, muss auch im Sommer gerade beim Bergaufstieg mit plötzlichem Wetterwechsel gerechnet werden, auch Schnee kann es im Sommer geben, meistens sind die Temperaturen in den Sommermonaten aber angenehm.
Zabljak ist die höchstgelegene Stadt Montenegros
Bester Ausgangspunkt für sämtliche Aktivitäten im Durmitor-Nationalpark ist Zabljak, die höchstgelegene Stadt Montenegros (1450 Meter): das Wintersportzentrum bietet auch im Sommer sämtliche Logistik von Hotels, einfachen Pensionen, Supermärkten und Restaurants und einer Tankstelle. Auch Anbieter von Wander- oder Raftingtouren sind hier angesiedelt. Für die abenteuerlichen letzten 30 Kilometer auf der Tara beginnen die Rafting-Touren im kleinen Örtchen Scepan Polje. Aktivitäten auf der Tara lassen sich auch unweit der Tara-Brücke organisieren. Ein besonderer Tipp sind die sogenannten Ethno-Villages, einfache Unterkünfte, die im Einklang mit der Natur gebaut, oftmals auch hervorragende regionale Küche bieten. Zu empfehlen ist die individuelle An- und Rundreise im eigenen Auto, Camper oder per Motorrad, auch Mietfahrzeuge lassen sich problemlos organisieren (zum Beispiel am Flughafen der Hauptstadt Podgorica).
Ein besonders zu empfehlende Anreise entlang der wundervollen Adriaküste gibt es hier im Bewegtbild:
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