Von Oliver Abraham

Brilon (Hochsauerlandkreis). Durchatmen, runterkommen bei ruhigem, langsamen Takt. Dann die erste Straße, da muss ich rüber. Um frei zu sein und zu fahren, um unterwegs zu sein in der Natur und das mit einem historischen Trecker.

Auf großer Sauerland-Tour mit historische Maschinen beim Treckerwandern

Der Trecker rumpelt über Steine und durch Pfützen. Foto: Mario Vedder
Der Trecker rumpelt über Steine und durch Pfützen. Foto: Mario Vedder

Nur das Wesentliche bitte! Und viel frische Luft. Es ist die erste Probe, aber die L912 ist gut einsehbar. Und auf der anderen Seite ist ein Feldweg, die Richtung passt grob, nach Süden geht es. Und wenn es möglich ist, möchte ich nicht unbedingt auf Straßen fahren, das würde mich stressen. Ich möchte in Ruhe mit dem alten Trecker ´rumkurven, gucken und die Gegend genießen, Halten, wo immer es mir gefällt, ich möchte Entschleunigen in schöner Natur. 

Beim Treckerwandern kommt die Ruhe zurück

Kult-kult-kult-kult; lauter jetzt, schneller. Kraft und Verlässlichkeit, der alte Deutz und ich, das ist ein Team im Takt, das ist lässig! Kurz mal Vollgas, um diese Straße zu queren, und der Trecker tuckert mit Tempo zehn, vielleicht sogar mit Tempo fünfzehn über die L912, Autos sind nicht in Sicht. Eine Feldscheune steht in der offenen Landschaft, es geht in den Wald, es geht bergan, es geht in die Kurven – ich bin allein und es fängt an, richtig Spaß zu machen. Frei unterwegs zu sein, heißt aber auch Rücksicht zu nehmen auf fremdes Eigentum und die Natur, bedeutet Wege-Gebote zu achten. Überall kann und darf man natürlich nicht hin. 

Ab einer Scheune in Messinghausen geht es los mit dem Treckerwandern. Foto: Mario Vedder
Ab einer Scheune in Messinghausen geht es los mit dem Traktor. Foto: Mario Vedder

Jeder mit PKW-Führerschein darf Trecker fahren

Alexander Schirm aus Messinghausen bei Brilon vermietet historische Trecker für Ausfahrten ins Sauerland. Jeder mit einem Pkw-Führerschein darf sie fahren, aber auch Heranwachsende ab 16 Jahren, die den Führerschein der Klasse L besitzen. Der 41jährige Land- und Baumaschinen-Mechatroniker-Meister, hat sein Hobby, das „Schrauben“ an alten Treckern, längst zum Nebenerwerb gemacht (www.treckerwandern.de). Zehn Trecker, sie sind sechzig, siebzig Jahre alt, stehen an zwei Standorten (Brilon und Medebach) für einen Ausflug bereit. Ein wenig ungewohnt sind die Trecker schon, mannshohes Hinterrad, offen und sehr einfach, schlicht und schön. Hanomag, Deutz, Porsche und MAN.

Auf großer Tour mit dem historischen Trecker. Video: Mario Vedder

Restaurierung dauert ein halbes Jahr

Oberhalb von Brilon-Messinghausen, steht die Scheune, in der Alex an den Treckern schraubt, sie wartet und pflegt, Neuerwerbungen überhaupt erst verkehrstüchtig macht. „Mit Schmieren und Putzen allein ist es natürlich nicht getan“, sagt er, schiebt das Tor auf, „die Bremsen mache ich grundsätzlich neu. Eine vollständige Restaurierung kostet rund 15.000 Euro und dauert ein halbes Jahr. Den hier“, Alex zeigt auf einen Porsche AP 18, „habe ich bis zur letzten Schraube auseinander genommen und, soweit es aus Gründen der Sicherheit machbar war, mit Originalteilen wieder zusammengebaut.“ 

Alexander Schirm repariert einen historischen Traktor. Foto: Mario Vedder
Alexander Schirm repariert einen historischen Traktor. Foto: Mario Vedder

Hanomag stand unter Haufen Heu

Er kennt Spezialgeschäfte, wo es solche Ersatzteile gibt, er kennt Farbwerke, die ihm den Lack im Originalton mischen, er weiß, wo es noch das nötige, nicht mehr handelsübliche Öl gibt. Und wo kommen die alten Trecker her? „Diesen Hanomag habe ich buchstäblich unter einem Haufen Heu hervorgezogen, der stand jahrzehntelang in einer Scheune, den haben die Leute damals abgestellt und dann vergessen. 3.000 € habe ich dafür bezahlt.“ Solche Schätzchen zu finden, ist großes Glück, in der Regel kauft er, was er kriegen kann. Ein alter MAN 2F1 ist seine „jüngste“ Neuerwerbung.  

„Als ich vor vier Jahren mit den Vermietungen und Tourenvorschlägen anfing, dachten die Leute hier im Dorf, ich sei übergeschnappt“, sagt Alex, inzwischen schaut man den alten Treckern gern hinterher, wenn wohl auch mit Wehmut. „Natürlich ist das Nostalgie, ist es das Bewahren einer vergangenen Zeit. Einer Zeit, in der Du noch viel selbst, mit eigenen Händen, erledigen konntest“, sagt er und man hört die Ratsche. Dann wischt er sich die Hände ab, nimmt einen 13er-Schraubenschlüssel und arbeitet an der Lichtmaschine, „das Reparieren zum Beispiel – so einen Trecker kriegtest Du notfalls mit Hammer und Schraubenschlüssel wieder in Gang. Du warst dein eigener Herr.“              

Alexander Schirm wartet und pflegt seine historischen Trecker selbst. Foto: Mario Vedder
Alexander Schirm wartet und pflegt seine historischen Trecker selbst. Foto: Mario Vedder

Die alten Trecker sind kultig und charakterstark. Wer vom Land kommt, kennt Treckerfahren meist noch, wer aus der Stadt ist, sucht vielleicht ein kleines Abenteuer – damit also jetzt selbst mal herumzufahren.

„Keine Sorge, jeder der Auto fahren kann, kann auch einen Trecker fahren.“

Alex Schirm

Er betreut seine Schützlinge am Start nicht nur mit technischer Einweisung, er hat auch verschiedene Routenvorschläge samt Einkehrstipps, die sich die Gäste samt GPS-Daten aufs eigene Smartphone übertragen lassen können. Diese Strecken sind schön und ruhig, praktikabel, von Alex getestet, sie können gut abgefahren werden. Auf Vorbestellung gibt es ein Verpflegungspaket. Bei inzwischen mehr als 800 Vermietungen musste er erst einmal ausrücken, um Leute wieder einzusammeln. 

Treckerwandern im Sauerland. Foto: Oliver Abraham
Treckerwandern im Sauerland. Foto: Oliver Abraham

Fünf Sekunden und dann durchziehen

Gewiss kann jeder einen Trecker fahren, nur ungewohnt ist das schon. Alex lässt die Leute erst vom Hof, wenn er sich sicher ist, dass alles klappt – und das geht schnell. „Du musst den Handgashebel in die Waagerechte stellen und dann den Starter bis zum Widerstand ziehen.“ Alexander Schirm erklärt, wie man einen alten Trecker anlässt, „aber nur bis zum Widerstand, dann zählst Du langsam fünf Sekunden ab und ziehst durch.“

Der alte Deutz läuft sich warm

Die Diesel-Gedenkminute. Dann ein sattes Tackern und die Mechanik arbeitet, der alte Deutz D25 läuft sich warm. Es gibt keine geschlossene Kabine, Fahrer (und gegebenenfalls Mitfahrer auf Notsitzen) sitzen an der frischen Luft. „Kupplung, Bremse und Gas ist wie im Auto“, sagt er, „nur: mit dem Trecker fährst Du im dritten Gang an.“ Die beiden unteren Übersetzungen braucht man zum Schleppen und Pflügen, im schweren Gelände. 

Reduktion auf das Wesentliche im Sauerland. Foto: Mario Vedder
Reduktion auf das Wesentliche im Sauerland. Foto: Mario Vedder

Reduktion auf das Wesentliche

Aber das mache ich nicht, ich fahre spazieren. Muss feste treten auf Kupplung und Pedal, muss kräftig und ausgreifend ins Lenkrad fassen, ich muss hier richtig anpacken. Doch Fahrer und Gefährt sind schnell im gemeinsamen Spiel, sind im Takt. Das Unterwegssein wirkt ungemein beruhigend; die unverstellte Weite, die Reduktion auf das Wesentliche und eine Durchschnittsgeschwindigkeit von zehn km/h, der tiefe, solide, robuste Takt. Nichts Überflüssiges. Und hier geht nichts schnell.

Auf „Großer Fahrt“ ins Sauerland

Der Trecker ist ein gutmütiges Gerät, trotz seiner Größe und Klobigkeit ist der Deutz wendig. Auf „Großer Fahrt“ ins Sauerland, bei einer Höchstgeschwindigkeit von „so um die zwanzig“ – und die muss man überhaupt erst schaffen – kommt auf dieser Reise auch die Seele mit. Einen Tacho gibt es nicht, zu schnell kann man beim besten Willen nicht sein. So geht Entschleunigung.            

Das Zeichen der Freiheit: Land- und forstwirtschaftlicher Verkehr frei. Foto: Mario Vedder
Das Zeichen der Freiheit: Land- und forstwirtschaftlicher Verkehr frei. Foto: Mario Vedder

Pure Mechanik, kein Gedöns

Es ist herrlich unmittelbar, auch wegen der frischen Brise, ist pure Mechanik. Kein Gedöns, kein elektronischer Schnickschnack, schierer Nutzen nur. Alles ist wesentliche Funktion und verlässlich. Treckerfahren ist ziemlich lässig. Mehr als drei Pedalen, das Lenkrad, Schaltknüppel, Handbremse, Anlasser und einen Drehzahlmesser braucht es nicht; man begreift das sofort, damit kann man arbeiten. Und nun? Vielleicht runter zum Diemelsee? Gang rein und Gas geben, es geht los mit gutem Gefühl. Der Drehzahlmesser zittert sich höher, die Maschine läuft. Rechts ein Wald, links die Weide bis runter ins Tal, die Gegend ist weit und offen. Erstes Üben, erstes Einfahren.

Dann eine Kreuzung im Nirgendwo, fünf Wege und vier zur Auswahl, es geht geradeaus, auf einen weiteren Feldweg in die offene Landschaft. Schmetterlinge tanzen in leichter Brise, das Gras bewegt sich im Wind in Wellen und das Grün changiert in tausend Tönen, verhaltenes Rauschen von Blättern und Bäumen im Hintergrund. Ich rieche den Duft von Heu, den würzigen aus dem Wald.

Kein Zurück und die Kühe gucken

Übrigens: Auf einem Acker herum oder darüber zu fahren, ist tabu! Wieder ein weiter Blick auf Weiden, Wäldchen, auf mächtige Solitärbäume. Ich entscheide mich für geradeaus, weil mir das zunächst übersichtlich und alles gut erkennbar erscheint. Doch: Der Weg führt in weitem Bogen bald immer steiler hinab, er ist eng und ausgewaschen. Ein Zurück gibt es kaum und die Kühe gucken. Sie haben einen Trecker gehört und kommen neugierig an den Zaun, verlieren das Interesse als sie merken, dass ich nicht „ihr“ Bauer bin.

Kühe am Wegesrand. Foto: Mario Vedder
Kühe am Wegesrand. Foto: Mario Vedder

Der Trecker rumpelt über Steine und durch Pfützen, ich führe ihn sicher runter (oder der mich?), genieße eine schöne Aussicht, die über weite Weiden bis an den fernen Waldrand, bis zu den Felsen, übers Landschaftsmosaik führt. Längst ist Vertrauen gefasst und Sicherheit in der Handhabe gewonnen.

Ich fahre hoch am Hang parallel zur L912, allerdings entferne ich mich damit vom Diemelsee. Aber möchte ich eigentlich dorthin, braucht es überhaupt ein Ziel? Das Fahren selbst ist fein! Eine immer tiefere Ruhe macht sich breit, sprichwörtlich dann, wenn der Motor aus ist. Vogelzwitschern. Bussarde pfeifen im Himmel, ein Pirol fliegt vorbei, fernes Hundegebell und ferner Hahnenschrei, sonst nichts und nur der Wind wispert.

Irgendwo im Nirgendwo: Treckerwandern im Sauerland. Foto: Mario Vedder
Irgendwo im Nirgendwo: im Sauerland. Foto: Mario Vedder

Man kennt „seinen“ Trecker

Rechts führt ein Feldweg hinab, verspricht am Ende die rein fahrtechnisch sichere Straße, aber das will ich nicht. Man wird mutiger, kennt „seinen“ Trecker, und der kann alles, macht das, was der Fahrer vorgibt. Fahren, Fahren können und wollen, aber muss man selbst. Keine Elektronik nimmt mir Entscheidungen ab, das muss ich selbst tun. Das ist frei sein. Der Trecker kommt dorthin, wo manche Autofahrer es sich kaum vorstellen können, nicht der Trecker ist das Limit, sondern Gesetze und Wege-Gebote. Verfahren kann man sich nicht. Ich fahre auch frei Schnauze. Alex schlägt Touren vor, aber man kann fahren, wohin man möchte. 

Die Landschaft beobachten und sich von Instinkt und Erfahrung führen lassen, dann Wege dorthin befahren oder eben nicht, umkehren wenn es nötig erscheint oder sich eben doch Verlieren lassen wenn man sich traut, Himmelsrichtungen hat man entweder im Gefühl oder liest sie ab, hier und heute nicht vom Smartphone, sondern mit der Sonne.

Selber denken, auf sich selbst verlassen und auf diesen verlässlichen Trecker, ohne Smartphone und „Assistenz“. Das tut gut. Links oder rechts, es ist erstmal egal. Rechts geht es bald nicht sinnvoll weiter (Straße!), aber ein schöner Platz zur Pause ist schnell gefunden. Ich habe Zeit, kann anhalten, wo es schön ist. Bei guter Schrittgeschwindigkeit ist das wie Wandern, unterwegs sein also mit Zeit und Muße. Hier und heute mit einem Trecker. 

Im Süden liegt der Diemelsee

Eigentlich wollte ich zum Diemelsee, der liegt im Süden und damit in der anderen Richtung, hinterm Berg. Also umdrehen, den Berg hinauf, es ist ein breiter, befahrener Wirtschaftsweg, der durch den Wald und immer höher hinauf führt, vollkommen problemlos. Nun geht es, mitten im Wald, entlang einer weiten, offenen Weide. Auch hier stehen einzelne, mächtige und uralte Bäume, eine einsame Hütte, verwunschen wirkt dieser entlegene, in Teilen an einen aus der Zeit gefallenen Park erinnernde Wald.

Laubbäume und Nadelwald sind gemischt, stehen locker und licht, es sind offene Fluren, kein düsterer Forst – und immer wieder ist ein Platz zum Anhalten, für Picknick und Pause, so, wie es gefällt. Lärchen und Buchen, Ahorn und Eiche, Rehe stehen am Waldrand, Insekten zirpen und Schmetterlinge flattern durchs Licht. 

Treckerwandern im Sauerland. Foto: Mario Vedder
Unterwegs im Sauerland. Foto: Mario Vedder
Tuckern durch Zeit und Raum

Wieder eine Wegekreuzung, vier Wege und drei davon zur Auswahl für die Fahrt in die Einsamkeit. Rechts voraus, also Südost, müsste der See liegen, aber ich bleibe weiter auf der Höhe und passiere mit der Landesgrenze NRW/Hessen auch Polterplätze, hier lagern geschlagene Baumstämme.

Natur sehen, riechen und fühlen

Ich tuckere durch Zeit und Raum, weit weg vom Rest der Welt. Unten erkenne ich nun den See und sehe Straßen: Mir meinen Weg mit anderen Kfz teilen und auf Parkplätzen parken möchte ich nicht. Ich bleibe oben und gucke runter. Ich möchte nur Natur; sehen und hören, riechen und fühlen. Mit diesem historischen Trecker kann man sein eigener Herr sein, wenn auch nur für ein paar Stunden. Wenden kann man den Deutz übrigens fast auf dem Teller, drei kurze Züge auf dem Weg reichen aus.       

Informationen

– Treckerwandern Alexander Schirm, Brilon-Messinghausen / Medebach        www.treckerwandern.de

– Informationen zum Urlaubsziel Sauerland bei Sauerland Tourismus                       www.sauerland.com  

Alle Angaben ohne Gewähr. Dieser Bericht stellt keine Wertung untereinander und / oder gegenüber anderen Unternehmen, Personen, Waren oder Dienstleistungen o.Ä. dar und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Diese Reise wurde unterstützt von Treckerwandern und Sauerland-Tourismus       

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