Von Oliver Abraham

Niebüll, Nordfriesland. Emil Noldes Heimat ist Nordfriesland. Welch Fülle und Pracht, was für ein schöner Garten in der endlosen, einsamen Marsch, diesem Meer aus grünem Gras, und unter dem weiten Himmel, im ewigen Wind. „Die Farben der Blumen zogen mich unwiderstehlich an“, schrieb der Maler Emil Nolde. „… die Reinheit der Farben – ich liebte sie.“ In seiner Heimat Nordfriesland fand der Expressionist in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts Sujet, Motiv und Anregung für einige seiner ausdrucksstärksten Bilder, darunter solche, die Blumen darstellen.

Motive und Anregung, Blumen im Nolde Garten. Foto: Oliver Abraham
Motive und Anregung, Blumen im Nolde Garten. Foto: Oliver Abraham

Emil Noldes Garten in Seebüll

Gemeinsam mit seiner Frau Ada legte Nolde in Seebüll schließlich einen Garten an, dessen Pracht bis heute existiert. Es ist ein seltsam schöner Ort, denn die farbenfrohen, kräftigen Blüten sind ein starker Kontrast zur rauen und herben Weite der Marschlandschaft nahe der Nordsee. Intensiv, verschwenderisch leuchtend ist dieser Garten eine Oase in der Einsamkeit. Ein Ort farbenfroher Schönheit, einer des Aufgehobenseins.

Farbenfrohe, kräftige Blüten im Kontrast zur kargen Landschaft rund um Seebüll. Foto: Oliver Abraham
Farbenfrohe, kräftige Blüten im Kontrast zur kargen Landschaft rund um Seebüll. Foto: Oliver Abraham

Nolde lebte und starb in Seebüll

Nolde lebte und arbeite ab 1927 in Seebüll nahe der dänischen Grenze, hier starb er auch 1956. Auf einer Warft, also einem in der Ebene künstlich aufgeschütteten Wohnhügel, steht das Haus des Ehepaars Nolde und das ehemalige Atelier des Malers. Heute sind hier auch die jährlich wechselnden Ausstellungen zu sehen. Unterhalb der Warft befindet sich der Garten, umgeben ist Seebüll von der sattgrünen Marsch; einem, so scheint es, Meer aus Gras. Flach, einsam und endlos, mächtige  Wolken segeln im ewigen Wind darüber, phantastische Bilder von Augenblick zu Augenblick. Ewig veränderlich, und oft auch Eindrücke von starkem Kontrast in den Farben.

Diese natürlichen Bilder schaffen die Dramatik und Intensität, die so häufig in Noldes Werken zu sehen sind

Mathis Vogel ist der Gärtner des Noldegartens: „Hier stehen mehr als 50 Staudenarten und hier blühen zirka 5.000 Sommerblumen aus eigener Kultur in zwanzig bis dreißig Sorten“, berichtet er. Nach dem Betrachten der Ölgemälde und Aquarelle bekommt man umso mehr Lust, durch diesen Garten zu spazieren, zu sitzen und zu schauen, zu träumen. „Unser Garten ist eine sich immer verändernde Erscheinung“, sagt der Gärtner, „im Laufe des Jahres wechselt der Zustand an Üppigkeit und Farbe.“

Auf einer Warft steht das Haus des Ehepaares Nolde. Foto: Nolde Stiftung Seebüll
Auf einer Warft steht das Haus des Ehepaares Nolde. Foto: Nolde Stiftung Seebüll

Für das kleine Paradies musste Land urbar gemacht werden

Wo  immer sich Emil und Ada Nolde niederließen, legten sie nach eigenen Vorstellungen einen Garten an. Als Nolde 1927 Seebüll kaufte, gab es um die leere Warft nur grünes Grasland. Um ein kleines Paradies erblühen zu lassen, wurde das Land urbar gemacht. Von April bis Oktober blühen im Garten von Seebüll zahlreiche Pflanzen: Schwertlilien, Rittersporn, Türkischer Mohn, Storchschnabel, Lupinen und viele andere – voller Fülle, voller Farben. Neben Blumen und Stauden ließ Nolde Sträucher und Obstbäume pflanzen, legte Gemüsebeete an, Vogeltränken und Wasserspiele. Zäune schützen die Anlage vor dem ewigen Westwind.

Ada und Emil Nolde im Garten, Seebüll 1941, Quelle: Nolde Stiftung Seebüll
Ada und Emil Nolde im Garten, Seebüll 1941, Quelle: Nolde Stiftung Seebüll

Aquarelle von starker Leuchtkraft

In diesem Garten saß Emil Nolde und malte Aquarelle von starker Leuchtkraft und großer Intensität, heißt es bei der Nolde-Stiftung, Blumenbilder in Öl allerdings malte er in seinem Atelier. „Im historischen Garten blühen zahlreiche Stauden, wie zum Beispiel Rittersporn und Türkischer Mohn. Manche Sorten sind sehr alt“, so Mathis Vogel, „sicher sind die Monate Juli und August diejenigen mit der intensivsten Vielfalt im Hinblick auf Farbe und Form.“

In diesem Garten saß Emil Nolde und malte Aquarelle von starker Leuchtkraft. Foto: Oliver Abraham
In diesem Garten saß Emil Nolde und malte Aquarelle von starker Leuchtkraft. Foto: Oliver Abraham

Tränende Herzen mit violetten Blüten

Das Blumenjahr beginnt mit dem Blühen der violetten Primeln kombiniert mit der jährlich wechselnden Frühjahrsbepflanzung aus Steifmütterchen und Tulpen, so blühen dann etwa 2.000 Tulpen gleichzeitig. Im Mai blühen unter anderem die Tränenden Herzen mit ihren violetten Blüten samt weißen Tropfen und die Akelei. Im Frühsommer dominiert der Türkische Mohn in kräftigem Orange, sattem Rot oder zartem Rosé. An diesen Stauden habe auch Emil Nolde stets viel Freude gehabt, sie waren Motive zahlreicher Gemälde und Aquarelle, heißt es bei der Nolde Stiftung.

Der Garten als Gesamtkunstwerk. Foto: Oliver Abraham
Der Garten als Gesamtkunstwerk. Foto: Oliver Abraham

Heimische Pflanzen als gestalterisches Element

Die Blätter der Pappeln rauschen im Wind, Weiden und Weißdorn begrenzen den Garten. „Diese heimischen Pflanzen sind auch ein gestalterisches Element und sie beeinflussen zudem das Mikroklima im Garten – sie spenden Schatten und halten den Wasserhaushalt in Ordnung, sie bremsen den Wind“, erklärt Mathis Vogel. Unter den Obstbäumen – Birnen und Pflaumen, Quitte und Mirabelle – sind auch historische Sorten, anderswo verloren oder längst vergessen; so, wie zum Beispiel die Apfelsorten „Agathe von Klanxbüll“ oder „Renette von Seebüll“. So oder so: Dieser Garten ist ein Gesamtkunstwerk, und er liegt wie ein riesiges Gemälde in der Landschaft.

Blüten voller leuchtender Kraft. Foto: Oliver Abraham
Blüten voller leuchtender Kraft. Foto: Oliver Abraham

Kein leichter Anfang

Einfach war der Beginn in Seebüll nicht. Nolde schrieb dazu: „ Der Seebüllhof ist schön, machte uns jedoch anfänglich viel Kummer, die Zeiten waren schlecht, der Pächter konnte nicht dagegen aufkommen. Ich musste Bilder veräußern, um den Hof zu halten. Nur die Freude an den Fennen mit ihren Tieren, die vor unseren Fenstern grasten, hatten wir, und wir liebten ihr lustiges Leben, ungefesselt auf dem grünen, flachen Feld.“

Ein Tisch voller Farben und Pinseln

Noldes Pächter Johannes Kahlke schrieb einst, dass Nolde damals sagte, der Garten sei ihm als Maler ebenso viel Wert wie ihm, dem Pächter, der Hof. In seinem Garten, oder mit Blumen daraus, malte Nolde viele seiner wohl schönsten Blumenbilder. Zeitzeugen wie Pächter Kahlke beobachteten, wie Nolde auf einem Hocker, den Tisch mit Tuben voller Farbe und Pinseln, vor einer Blumengruppe saß, die Leinwand auf einem Gestell neben sich. Im Atelier arbeitete Emil Nolde die Feinheiten aus. Hier und in der Umgebung entstanden beeindruckende Blumen-Bilder wie die mit rotem und weißen Mohn vor leuchtend roten Abendwolken über grüner Marsch, rosé und blaßlila Mohn und Lupinen vor dramatisch dunklem Himmel oder die Aquarelle roter und gelber Sonnenblumen.

Blütenpracht im Nolde Museum Seebüll. Foto: Oliver Abraham
Blütenpracht im Nolde Museum Seebüll. Foto: Oliver Abraham
Land im Umbruch

Als Emil Nolde sich in Nordfriesland niederließ, war dies ein Land im Umbruch: Einst war die Gegend ein Labyrinth aus Wasser und Inseln, und bis ins Hinterland reichte der Einfluss der Gezeiten. Ada und Emil Nolde fuhren oft mit dem Boot über Seen und Kanäle. Dann wurde das Land urbar gemacht, besser eingedeicht und in Teilen trockengelegt. Noch immer durchziehen Wasserläufe das Land und einige Seen zeugen auch heute vom amphibischen Charakter des einstigen Nordfrieslands, auch mit Hof- und Siedlungsnamen wie Carstenshallig, Bohnenhallig, Kleine Kophallig oder Ockholm (Holm bedeutet Insel), wenngleich solche Orte längst landfest sind.

Der Blick bis zum Horizont

Vor der Warft Seebüll liegt der große Raum, die Marschlandschaft. Der Blick reicht bis zum Horizont. Wer mit dem Rad aufbricht, tut das wie ein Segler auf See – erlebt Aufbruch, Unterwegssein und Ankunft intensiver, hier in einem Meer aus Gras, das sich im Wind und in Wellen changierenden Grüns bewegt, mit ehemaligen Inseln (den Warften, den alten Halligen) darin. Und das Riet rauscht im Wind. Die Gegend ist weit und bisweilen, wie zum Beispiel am Gotteskoogsee, auch wild.

Feuerrot, Blutrot und Rosenrot

Am späten Nachmittag liegt eine gewittrige Stimmung über dem Land, Wolken in zunehmend düsterem Blau, Wasser in gleißendem Silber, Böen zupfen am Mohn und wehen die blutroten Blüten fort, Ziegelmauern scheinen zu glühen. Welche Farben! Und  Emil Nolde schrieb dazu: „Es gibt Feuerrot, Blutrot und Rosenrot. Es gibt Silberblau, Himmelblau und Gewitterblau. Jede Farbe birgt in sich ihre Seele, mich beglückend oder abstoßend oder anregend.“

Werke Noldes sind im Nolde Museum Seebüll zu sehen. Foto: Nolde Stiftung Seebüll
Werke Noldes sind im Nolde Museum Seebüll zu sehen. Foto: Nolde Stiftung Seebüll

Diese Landschaft faszinierte und inspirierte den Maler, in diesen ewig wechselnden Licht- und Wetterstimmungen und der sich damit stetig verändernden Landschaft gelangen ihm grandiose Portraits der Natur. Wer hier unterwegs ist und sich mit offenen Sinnen treiben lässt – hört, sieht und fühlt -, spürt Magie und mit den Gegensätzen eine Dynamik, es ist bewegend, so, wie es die Bilder Noldes sind, auch in ihrer Naturbezogenheit.

Wenn Motive zur Zerrbildern werden

Nolde schrieb: „Unsere Landschaft ist bescheiden, allem Berauschenden fern, das wissen wir, aber sie gibt dem intimen Beobachter für seine Liebe zu ihr unendlich viel an stiller, inniger Schönheit, an herber Größe und auch an stürmisch, wilden Leben.“ Dann, wenn die späte, tiefstehende Sonne Kontraste schärft und Farben – die der Blüten, die der Ziegelmauern alter Bauernhöfe, die der Wolken – zum Glühen bringt. Oder wenn der Wind die gespiegelten Motive auf dem Wasser der Seen zu Zerrbildern verwirft.

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Nolde Museum Seebüll. Foto: Nolde Stiftung Seebüll
Ausflüge ins Traumhafte

Wenn sich vom ewigen Wind verbogene Bäume vor drohendem Abendhimmel abzeichnen. Und gewiss dann, wenn sich tausende, bisweilen zigtausende (und mit dem „Tanz der Stare“ im Herbst über dem Gotteskoogsee gar hundertausende) Vögel zu einem riesigen Schwarm zusammenfinden und wie ein einziger Organismus am Himmel zu tanzen beginnen; ein irres Ballett aufführen, mit abrupten Manövern. Unfassbar und unglaublich, voller Mystik und Magie. „Ausflüge ins Traumhafte, ins Visionäre, ins Phantastische stehen jenseits von Regeln und kühlem Wissen. Es sind freie, herrliche Gebilde voll Reize und Charme in lichtem, tiefem geistigem Erleben. Wer nicht träumen und schauen kann, kommt nicht mit.“ (Emil Nolde)

Nolde Museum Seebüll. Foto: Oliver Abraham
Nolde Museum Seebüll. Foto: Oliver Abraham

INFORMATION

Nolde Museum Seebüll / Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde nolde-stiftung.de

Vom 1. März bis 31. Oktober täglich geöffnet von 10 bis 18 Uhr

In diesem Jahr ist die Gastronomie ELEMENT freitags und samstags mit After Work und Fine Dining auch nach 18 Uhr geöffnet.

Am 21. Mai gibt es anlässlich des Internationalen Museumstags ermäßigten Eintritt, ab 14 Uhr kostenfrei eine öffentliche Führung und von 14 bis 17 Uhr eine kostenfreie offene Malschule.

Alle Angaben ohne Gewähr. Dieser Bericht stellt keine Wertung untereinander und / oder gegenüber anderen Unternehmen, Personen, Waren oder Dienstleistungen o.Ä. dar und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

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